Ferien auf dem Bergbauernhof: Eine herrlich authentische Alternative – mit einigen kleineren Makeln: Kein Blutbad in der Ferienwohnung
Wir retten die Welt
von Manfred Kriener
Es ist 4.53 Uhr und der Hahn kräht. In kurzen Intervallen. Immer wieder. Der Hahn wurde in vielen Kulturen verehrt, er ist der von Gott gesandte Bote des Lichts, sein morgendlicher Schrei kündet den Sonnenaufgang und ruft die Menschen zu Arbeit und Gebet. Aber was ist, wenn der Mensch weder arbeiten noch beten will, weil er womöglich Urlaub hat und schlafen will?
Die hübsche Ferienwohnung liegt auf der stallzugewandten Seite. Das hört man nicht nur, man riecht es auch. Und dann ist da noch Musca domestica, die gemeine, hyperaktive Stubenfliege. Es sind Millionen. Die rote Fliegenklatsche liegt gleich neben dem Fernseher, aber wer will im Urlaub schon ein Blutbad anrichten? Auch der von der Zimmerdecke baumelnde honigfarbene Fliegenfänger kommt aus ethischen und ästhetischen Gründen nicht infrage. Das Insekt zappelt sich ewig daran zu Tode.
„Kreatur, du leidest!“, schrieb schon der große Nietzsche, und wir sind ja öko. Also: Im Schälchen appetitlich angerichtete Marillen-Marmelade-Köder werden die Tiere auf den Balkon locken. Leider fällt kein einziges Exemplar darauf herein, die Fliege lacht sich schepp. Die konsultierte Bäuerin empfiehlt: die Strategie der Finsternis. Rollos runter und nur einen Spalt zum Balkon offen lassen. Die Fliege sucht das Licht! Das klappt tatsächlich, wenn man gleichzeitig mit zwei Handtüchern schwer wedelnd durch das Zimmer tobt, alle Muscen aufscheucht und sich im Dunkeln die Birne anstößt.
Fliegenfrei! Zwei Minuten lang. Aber es gibt ja noch andere Tiere im Umkreis: Hund und Katz, Puten, Enten, Gänse, Schweine, Kühe, Ponys, Esel, Ziegen. Aber wo sind Hahn und Hennen? Warum keine ökologisch korrekte Freilandhaltung mit Käferchenpicken, Sonnen- und Sandbaden und Hühnersex im Freien? Weil die Füchse sich dann jeden Tag ein Huhn holen, sagt die kopfschüttelnde Bäuerin. „Der Fuchs gräbt sich unterm Zaun durch, wir müssten betonieren!“ Also bleibt das Huhn im Stall.
Heute geht’s hoch auf die Alm. Wir lernen: Traditionell gibt es den Senn, Untersenn und Hirten, die den Almsommer als Trio managen: Und: Der Pfarrer erhält einen Viertel Käselaib für die Segnung des Almbetriebs. Wenn aber doch Tiere zu Schaden kommen oder wenn schon im August der erste Schnee fällt, darf der Pfarrer den Käse trotzdem behalten. Man ist hier oben nämlich nicht so leistungsbezogen. Deshalb wurde über Jahrzehnte nicht nur die Kuh mit der größten Milchmenge gekränzt, sondern auch die „Gängerin“: Das ist die mutigste Kuh, die im freien Weidegang auf der Alm den höchsten Punkt der Bergwelt erklimmt, der Reinhold Messner unter dem Braunvieh.
Unsere Gastgeber auf dem Bergbauernhof haben keine Tiere mehr auf der Alm. Sie haben entschieden, ihre Kühe komplett abzuschaffen. Der Milchpreis! Die wahnsinnige Arbeit! „Wir können nie weg!“ und nur noch rote Zahlen. Gut, dass wenigstens die Feriengäste kommen. Das „Tourismus-Segment Ferien auf dem Bauernhof“ hat einen Anteil von 6 Prozent erobert. In Deutschland sind das mehr als 20 Millionen Übernachtungen und ein Umsatz für die Höfe von mehr als einer Milliarde Euro. Dieses Geld brauchen die Bauern unbedingt.
Und mal ehrlich. So ein vitaler Hahnenschrei um 4.53 Uhr ist doch was ganz anderes, als von ratternden U-Bahnen und hupenden SUVs geweckt zu werden. Und wie hübsch diese Stubenfliegen sind und wie fruchtbar. Immer am Kopulieren. Dazu die gute Luft mit dem feinen Aroma des Landlebens. Und die nette Bäuerin mit Eiern, selbst gemachtem Joghurt und Salat aus dem eigenen Garten. Hach, nächstes Jahr wieder!
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