Flucht nach vorn

SPD Klaus Wowereit hat sich nach dem Flughafendebakel nach links bewegt. Doch auch das schützt den einstigen Wahlkampfstar nicht vor einer Nachfolgedebatte

■ Am Freitag kommt die SPD-Fraktion zu ihrer traditionellen Klausur zusammen. Diesmal geht es nach Kolberg an die polnische Ostseeküste. Die Vermittlung kam durch den ehemaligen Pankower Bürgermeister Alex Lubawinski (SPD) zustande, dessen Bezirk eine Städtepartnerstadt mit Kolberg hat.

■ Auf der Tagesordnung steht die Zusammenarbeit mit Polen im Rahmen der Oder-Partnerschaft. Außerdem soll das neue Papier „Berlin. Stadt des Aufstiegs“ diskutiert werden. Als Gäste hat die SPD den Marschall der Woiwodschaft Westpommern, Olgierd Geblewicz, den Präsidenten der IHK, Eric Schweitzer, sowie die Präsidentin der Beuth-Hochschule, Monika Gross, eingeladen. (wera)

VON UWE RADA

Nein, übern Berg ist er noch nicht. Blass wirkt Klaus Wowereit, als er am Donnerstag mit Jan Stöß und Raed Saleh über die Zukunft seiner Partei und ihre Themen für 2013 spricht. Auch der Husten plagt ihn noch. Der Regierende Bürgermeister, der Fraktionsvorsitzende sowie der Landesvorsitzende der SPD wollen den Blick dennoch nach vorn richten. „Berlin. Stadt des Aufstiegs“ ist ihr Papier überschrieben, mit dem sie wieder etwas Boden gutmachen wollen nach dem verpatzten Start der Berliner SPD ins Bundestagswahljahr.

Katzenjammer in der Partei

Die Flughafeneröffnung erneut verschoben, der Rücktritt, den er seiner Partei angeboten haben soll, der kleine Rücktritt als Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft, das Misstrauensvotum im Abgeordnetenhaus, der fortgesetzte Absturz in der Wählergunst: eigentlich kann es für Klaus Wowereit nur noch besser werden in diesem symbolträchtigen SPD-Jahr. 150 Jahre alt wird die Sozialdemokratie 2013. Bisher haben Peer Steinbrück, der Kanzlerkandidat, und Klaus Wowereit, der dienstälteste SPD-Ministerpräsident, alles dafür getan, dass aus der Geburtstagsparty ein Katzenjammer wird.

Nun soll wenigstens eine solide Feier draus werden. Nächste Woche zieht sich die 47-köpfige Fraktion samt Wowereit und Stöß zur Klausur ins polnische Kolberg zurück. Auch das Aufstiegspapier wird eine Rolle spielen: Mehr Wohnungen als bislang verabredet wollen die drei starken SPD-Männer bauen, die Schulen in den Brennpunktgebieten sollen mehr Autonomie bekommen. Es ist ein Spagat, den Wowereit mitträgt. Ein Linksruck, ja – aber auch der Aufschwung, den Berlin erlebt, soll fortgesetzt werden. „Berlin ist so attraktiv wie nie“, sagt Klaus Wowereit bei der Vorstellung des Papiers und verweist auf die wachsende Zahl von Touristen, auf den Bevölkerungsanstieg und die Wirtschaftskraft. „Die Wirtschaft hier wächst so stark wie in keinem anderen Bundesland.“

Was er nicht sagt: Klaus Wowereit ist nicht mehr gleichbedeutend mit Berlin. Die Hauptstadt boomt, aber Wowereit ist nicht mehr ihr strahlender Botschafter. Bald könnte der einstige Wahlkampfmotor zum Klotz am Bein für seine Partei werden.

Die Runde, die seit Oktober an „Berlin. Stadt des Aufstiegs“ feilte, ist deshalb nicht die einzige, die derzeit bei den Berliner Sozialdemokraten zusammenkommt. Auch das vermeintliche Tabuthema Nachfolge ist keines mehr. Die Tage, in denen Wowereit nach der jüngsten BER-Verschiebung abtauchte und wohl bereit war, hinzuschmeißen, haben Jan Stöß und Raed Saleh vor Augen geführt, dass die Nachfolgedebatte nicht nur begonnen hat, sondern auch zu einem Ergebnis kommen muss.

Vorerst hat Wowereit seine SPD – so absurd es klingen mag – vor dem Schlimmsten bewahrt. Bei einem Rücktritt zu Jahresbeginn hätten Saleh und Stöß springen müssen. Doch für beide ist der Job des Regierungschefs noch eine Nummer zu groß. Das hat der Fraktionsvorsitzende bei einer miserablen Rede zum Misstrauensantrag der Grünen gezeigt. Und dass Stöß das Rücktrittsangebot Wowereits ausplauderte, hat zwar die Journalisten gefreut, nicht aber SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel. Der hat den SPD-Landeschef gar öffentlich gerüffelt.

Ein schneller Rücktritt ist inzwischen vom Tisch. Was aber wird nach der Landtagswahl in Niedersachsen am Sonntag und der Bundestagswahl im September sein? Wird Klaus Wowereit den nächsten Jahreswechsel noch als Regierender Bürgermeister feiern?

Spätestens bei dieser Frage ist es mit der Einigkeit der drei Verfasser von „Berlin. Stadt des Aufstiegs“ vorbei. Nach seiner Schwächeperiode hat Wowereit wieder Fahrt aufgenommen. Vor der Sitzung des BER-Aufsichtsrats am Mittwoch ließ er sogar durchblicken, dass er den Hauptstadtflughafen als Regierungschef eröffnen wolle. Glaubt man Technikchef Horst Ammann und seiner Prognose, der BER werde nicht vor 2015 eröffnen, wird es also nichts mit einem schnellen Wechsel des Staffelstabs. Womöglich schließt Wowereit nicht einmal aus, für seine SPD bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 noch mal ins Rennen zu gehen.

Für Saleh und Stöß wäre es der Worst Case. Also arbeiten der Fraktions- und der Landeschef – diesmal ohne den Regierenden Bürgermeister – am „Rheinland-Pfälzer Modell“. Dort hat Kurt Beck mit der Entscheidung für Malu Dreyer bereits für einen geordneten Übergang gesorgt – drei Jahre vor der Landtagswahl, die ebenfalls 2016 stattfindet.

Die Zeit, in der Saleh und Stöß den Wechsel anstreben, ist 2014. Die Wogen wären geglättet, und bis zur nächsten Wahl wäre noch genügend Zeit für eine neuen Kandidaten, mit einem Amtsbonus in den Wahlkampf zu ziehen.

Also spielen die beiden wichtigsten Konkurrenten des ehemaligen Berlinmaskottchens Wowi auf Zeit. Michael Müller, der Stadtentwicklungssenator und ehemalige Landeschef, der bei einem Rücktritt Wowereits im Januar als Krisenmanager hätte einspringen können, wäre 2014 aus dem Rennen. Auch Ulrich Nußbaum, der Finanzsenator, hat ohne SPD-Parteibuch keine Chance. Aus dem Verfolgerfeld der fünf ist ein Dreierfeld geworden. Neben Stöß und Saleh gilt auch Arbeitssenatorin Dilek Kolat als heiße Anwärterin auf die Wowi-Nachfolge. Frau und Migrationshintergrund: das kommt vor allem bei Sigmar Gabriel gut an.

Eine Vorentscheidung wird wohl der Herbst bringen. Verliert die SPD bei der Bundestagswahl weitere Wahlkreise an die CDU, würde dies weniger dem Landeschef als dem glücklosen Wowereit angekreidet. Seine Wahlkampftauglichkeit wäre endgültig infrage gestellt. Verliert Wowereit bei den anschließenden Wahlen zum SPD-Bundesvorstand auch noch den Posten des Vizeparteichefs, sind seine Tage gezählt – vorausgesetzt, seine Widersacher haben sich inzwischen geeinigt. Nicht nur Berlin, die Stadt, hat den Aufstieg dringend nötig. Auch die zweite Reihe der SPD muss nun liefern.