Rückkehr eines Rohstoffs

FLEISCH Unsere Autorin, einst Vegetarierin, kocht mit Lust, isst mit Leidenschaft und nähme auch in Kauf, einem Huhn den Hals umzudrehen. Ein Plädoyer

VON SUSANNE MESSMER

Ich war elf, als ich das fleischlose Dasein beschloss. Es gab diverse Gründe: Vom aufrüttelnden Song „Meat is murder“ der britischen Postpunkband The Smiths bis hin zum Schweinebauern gegenüber, der damals noch seine Ferkel auf dem Hof kastrierte. Rund 15 Jahre brauchte es, bis ich ohne jeden Anlass, aus reiner Neugier und schnell sich einstellender Lust zum Fleischkonsum zurückkehrte. Und es scheint, als wäre der Nachholbedarf heute, weitere 15 Jahre danach, noch immer nicht befriedigt. Ich esse gern Fleisch. Aber abgesehen vom ersten Winter esse ich im Schnitt eher kleine Mengen.

Es begann mit der Aufwertung unserer WG-Küche, die ich nach der Rückkehr zum Fleisch restlos übernahm. Ich kaufte mir das berühmte Kochbuch von Hedwig Maria Stuber mit dem bescheuerten Titel „Ich helf dir kochen“, dazu ließ ich mir teure Messer schenken und einen Bräter, schaffte Seiher an, Saucieren, Spicknadeln und Spieße. Als Erstes lernte ich deftige Eintöpfe wie das Gulasch meiner Großmutter mit viel Kümmel und Thymian, das besonders gut in meiner WG ankam, weil es nach jedem Aufwärmen besser wird.

Bald folgte das Bardieren und Beizen, das Panieren und Parieren, es folgten kompliziertere Gerichte wie Coq au Vin, Ente à l’Orange, auch Berliner Spezialitäten wie Königsberger Klopse oder Leber mit Zwiebeln, Äpfeln und Stampfkartoffeln. Oder: den Schweinebraten mit Pastinaken, Süßkartoffeln und Bratäpfeln, der in 20 Minuten zubereitet ist und mit dem ich bis heute Freunde beeindrucke, die immer noch Angst haben vor einem großen Stück Fleisch. Dabei gibt es nichts Einfacheres, als gleich nach dem leichten Mittagessen ein gut durchwachsenes Stück Schweineschulter in den nicht allzu heißen Ofen zu schieben, hin und wieder zu übergießen und bis zum Abend darauf zu warten, dass die Konsistenz erreicht ist, die ich beim Schwein liebe: außen knusprig, innen so weich, dass man es löffeln kann.

Ich lernte viel in diesem ersten, exzessiven, ja rauschhaften Winter. In den folgenden lernte ich mehr. Ich begann wieder bewusster Fleisch zu essen und mehr Geld dafür auszugeben, also auch mal einen Fuffi für einen schönen Rehrücken hinzublättern oder 70 Euro für die Weihnachtsgans. Ich machte neue Fleischquellen aus, wie ich sie dort, wo ich aufgewachsen bin, nicht hatte: die Neuland-Fleischerei, den Asia-Shop, das KaDeWe oder den anthroposophischen Bauern in der Nähe vom Brandenburger Lieblingssee. Und zweimal im Jahr hole ich für ein Abendessen für die Liebsten eine Hammelkeule beim türkischen Metzger am Kottbusser Tor, die so groß ist, dass ich sie gerade so in den Ofen kriege. Sie ist nicht gerade mager und zergeht einem deshalb auf der Zunge.

Besonders förderlich bei meiner neu erwachten Liebe zum Fleisch war meine Bekanntschaft mit China. In diesem Land, in dem nur jene Stadtbewohner zu fett werden, die sich vom chinesischen Essen abwenden und zum Fastfood überlaufen, gehört zu jedem guten Gericht Fleisch – aber nicht viel, sondern gutes und oft sehr fettes Fleisch. Ich habe in der chinesischen Provinz einer Ziege in die Augen gesehen, als sie geschlachtet wurde, ich habe Pansen als Delikatesse entdeckt, Schlange probiert, einmal hätte ich fast Hund gegessen. Spätestens seitdem glaube ich nicht mehr an den erwähnten Song der Smiths mit dem Titel „Meat is murder“, sondern erzähle lieber von Bruce Chatwin: Der Bestsellerautor hielt die letzten afrikanischen Stämme, die nur von der Jagd leben, für die glücklichsten Menschen der Welt.

Ich bin davon überzeugt, dass ich in der Lage wäre zu schlachten – zumindest einem Huhn den Hals umzudrehen sollte kein großes Problem darstellen. Das folgende Rupfen und Ausnehmen würde mir vermutlich sogar Spaß machen. Und während meine Tochter nächsten Sommer im Lieblingssee schwimmen lernen wird, werde ich am Rand sitzen und angeln.