VisionenWelche Grundüberzeugungen teilen Bewegungen?
: Wie geht Wandel?

Thomas Dönnebrink und Thorsten Wiesmann befragten international einflussreiche Persönlichkeiten auf dem „Ouishare“-Festival in Paris. Die kompletten Videointerviews unterwww.NewCommonSense.tv

Sara Horowitz

Javier Creus lebt als Autor und Berater in Barcelona. Er unterstützt Firmen beim Wandel.

Wir alle wollen lernen, durch Teilen und gemeinsames Nutzen Fülle zu schaffen: absolute Fülle an Immateriellem wie Wissen und Design, relative Fülle an Dingen wie Autos oder Wohnraum. Woran es uns noch mangelt, ist ein gemeinsames Narrativ, eine Vision.

Bürger werden zu ökonomischen und sozialen Veränderungsakteuren. Unsere Gesetze sind noch immer ausgelegt auf Arbeiter und Geschäftsleute; wir müssen diese neuen Akteure integrieren.

Rajesh Makwan

Lisa Gansky ist Autorin des Bestsellers „The Mesh – warum die Zukunft im Teilen liegt“. Die Gründerin, Impulsgeberin und Investorin lebt in San Francisco.

Ich beobachte neugierig, wohin sich Städte wie Amsterdam und Seoul entwickeln, die sich zu „Sharing Cities” erklärt haben. Deren Stadtregierungen ermuntern Bürgerinnen und Einwohner zum Teilen von Gütern und Wissen, etwa durch Carsharing.

Derzeit können wir den Zusammenfluss von vier großen Strömungen beobachten: der kollaborativen Ökonomie, des „Internets der Dinge”, der Macher- („Maker“) und der Open-Source-Bewegung. Die kollaborative Ökonomie erlaubt uns, voneinander zu lernen und das Wissen zu teilen, das Innovation beschleunigt und uns unabhängiger von Kapital macht. Zugang schlägt Eigentum. Wir könnten eine Menge Dinge gemeinschaftlich besitzen. In vielerlei Hinsicht ist das mit dem Kapitalismus unvereinbar. Miteigentümerschaft braucht eine stärkere rechtliche Verankerung.

Sara Horowitz ist Direktorin der Freelancer Union, der Gewerkschaft der Selbstständigen, und lebt in New York.

Charles Eisenstein

Politiker können nicht viel tun, sie sind zu sehr der alten Ökonomie verhaftet – aber die Politik wird den Akteuren des Wandels folgen.

Gemeinsame Definitionen zu finden – das ist der Anfang für Zusammenarbeit. Für alle zukünftigen Diskussionen ist es wichtig, wie wir zueinander in Beziehung treten. Wir müssen uns zunächst selbst verändern. Die wichtigsten Bausteine sind Solidarität und der Glaube an etwas Größeres als man selbst.

Rob Hopkins ist Permakulturdesigner und Gründer der internationalen Bewegung der Transition Towns, die Gemeinden auf postfossile Zeiten vorbereiten.

Rob Hopkins

Wir teilen das Gespür, dass die Weltwirtschaft nur den Bedürfnissen von einem Prozent Superreichen dient. Eine Wirtschaft, die Epidemien der Einsamkeit schafft. Wir teilen ein Gefühl, dass wir Besseres schaffen können, dass dies bereits geschieht, sich über alle parteipolitischen Gräben hinweg ausbreitet und rasant wächst.

Wir werden Neues in die Politik bringen, indem wir es einfach machen. Wir sind aufgewachsen mit der Idee, dass Politiker Wandel ermöglichen. Aber meist rennen sie Entwicklungen nur hinterher. Wir von den Transition Towns laden Politiker ein – aber nicht als Sprecher, sondern als Zuhörer. Wenn wir etwas Besonderes tun, ist das der beste Weg, um Politiker zu beeinflussen, weil alle daran teilhaben wollen.

Rajesh Makwanist Direktor der Organisation „Share the Worlds Resources” in London, die sich für weltweit faires Teilen von Reichtum, Macht und Ressourcen einsetzt.

Lisa Gansky

Wenn Menschen zusammenkommen, Visionen und Ziele teilen, kann das starke Veränderungen verursachen – wie bei Occupy oder anderen Bewegungen, den spanischen Indignados, dem Arabischen Frühling. Es kann den politischen Diskurs verändern, Regierungen zu Fall bringen, Bewegungen und neue Parteien hervorbringen. Wir müssen uns als Weltbürger sehen und nicht nur als Individuen. Wir müssen erkennen, dass wir Teil der Menschheit sind und die Bedürfnisse anderer zu unserem eigenen Bedürfnis machen. Große Herausforderungen warten auf uns: Nichtnachhaltigkeit, globale Ungleichheit, Armut. Wir brauchen wahre Demokratie. Die größte heutige Herausforderung ist der unmäßige Einfluss von Konzernen auf die Politik.

Neal Gorenflo ist Gründer und Autor der Onlinezeitung „Shareable“ (Teilbar) und lebt in San Francisco.

Wir teilen die Gewissheit, dass wir nicht weitermachen können wie bisher, dass neue Herangehensweisen nötig sind. Bewegungen haben den Vorteil unglaublicher Diversität. Gemeinsamkeit zu identifizieren und sich nicht an Details aufzuhängen, ist die wichtigste Aufgabe für das Zusammengehen der Bewegungen. Alles muss neu gedacht werden: Recht, Wirtschaft, Kultur, Geschäftsmodelle, Verhalten, zwischenmenschliche Dynamiken, Psychologie. Alles, was unsere Krisen verursacht hat. Kreativität, Aufmerksamkeit und das Zupacken jedes Einzelnen – das wird die Menschheit neu definieren. Ich glaube, in diesem Prozess werden wir zu einer anderen Spezies werden.

Pia Mancini

Michel Bauwens aus Belgien ist Mitbegründer der internetbasierten Peer-to-peer-Foundation („Von-gleich-zu-gleich-Stiftung”). Der Softwarespezialist gilt als Vordenker zu Commons (Gemeingütern).

Die Bewegungen fließen zusammen. Menschen von Foodcoops reden mit Leuten von Zeitbanken, diese mit Kreditgenossenschaftlerinnen, diese wiederum mit Makern und Hackerinnen. Dies passiert weltweit.

Javier Creus

Zwei Dinge sind verkehrt in der Welt. Erstens der Glaube, Natur sei unbegrenzt. Zweitens die Vorstellung, dass unbegrenzt vorhandene Dinge verknappt werden müssen, damit sie zu Handelsgütern werden. Um zu überleben, müssen wir natürlichen Mangel und natürliche Fülle respektieren und dies mit sozialer Gerechtigkeit verknüpfen. Gemeingüter können das Bindeglied sein. Ich möchte die Idee der Arbeit ersetzen durch die Idee der gemeinsam zu schaffenden Commons, zu denen Menschen frei beitragen können. Darum herum schaffen wir Lebensunterhalte – so autonom wie möglich. Die Wikimedia- oder die Linux-Stiftung sind Modelle für die gesamte Gesellschaft.

Pia Mancini ist Direktorin der Stiftung DemocracyOS sowie der Netzpartei in Buenos Aires.

Neal Gorenflo

Wir haben eine andersartige Partei gegründet, in der es eine neue Art der Entscheidungsfindung gibt. Wir entwickelten dafür extra eine Software – Demokratie OS – und gingen mit dem Versprechen in die Wahl, immer den auf einer Onlineplattform getroffenen Bürgerentscheidungen zu folgen und entsprechend abzustimmen. So werden wir selbst zum System, zur Brücke. Wir geben unsere Bürgerrechte an eine professionelle Klasse ab – bis wir wieder Macht einfordern, für uns selber zu entscheiden. An jenem Tag, an dem sich das ändert, ändert sich alles.

Charles Eisenstein,US-Kulturphilosoph und Autor, gilt als Vordenker der Occupy-Bewegung. Er sieht sich selbst als Geschichtenerzähler und Entwickler eines neuen Narrativs.

Michel Bauwers

Große Veränderung passieren meist von unten. Hat sich die Unterstruktur verändert, identifizieren sich die Machthaber immer weniger mit dem System. In Krisenzeiten eröffnen sich so Entscheidungsmomente: festhalten oder loslassen. Die Wende kommt oftmals, wenn die Eliten entscheiden loszulassen.

Es braucht eine fundamentale Veränderung, wie wir die Welt sehen, nämlich als lebendes und bewusstes Wesen, in der alles Leben einen eigenen Sinn und Zweck hat. Wichtig wären Gesetze gegen die Zerstörung von Ökosystemen und für die Wiederherstellung von Gerechtigkeit. Die Reform des politischen Systems muss auf Partizipation abzielen, ein universelles Grundeinkommen und ein völlig anderes Erziehungs- und Gesundheitswesen. Eine Veränderung des Geldsystems würde alles drumherum verändern.