Die letzte Grenze

HOFFNUNG Gelingt es Bohrfirmen, das Öl unter dem Meeresboden vor Grönland zu fördern, werden die Inuit reich, unabhängig, frei. Doch Greenpeace kämpft dagegen – mit viel Geld, einigen jungen Leuten und guten Gründen

■ Der Wunsch: Eigentlich eine absurde Situation: Der Klimawandel, das Verbrennen von Kohle, Gas und Öl, lässt die Gletscher schmelzen. Diese Schmelze wiederum macht es nun auch in der Arktis möglich, nach Öl und Gas zu suchen. Also bohren Konzerne wie Shell oder ExxonMobil zwischen den Eisbergen, um neue Reserven zu erschließen. Die könnten den Klimawandel dann auch weiterhin befeuern. Zynisch?

■ Die Angst: Wie schwierig die Bedingungen sind, unter denen in der Arktis gebohrt wird, hat das Beispiel der Shell-Plattform „Kulluk“ vor wenigen Wochen gezeigt. Sie hatte sich von ihrem Schiff gelöst und musste in einer mehrtägigen Rettungsaktion inmitten hoher Wellen wieder eingefangen werden. Die US-Regierung will die Arktis-Bohrungen des Jahres 2012 jetzt überprüfen.

AUS GRÖNLAND JOCHEN BRENNER

Das Jagdmesser des Ministers dringt durch ein Stück geräucherten Walfleischs, als der Sermia-Gletscher kalbt. Der Mann spießt das Fleisch auf, kaut mit offenem Mund, blinzelt in die Sonne, sein Boot, die „Najaaraq“, dümpelt in den Wellen des Nuuk-Fjords im Westen Grönlands. „Die Welt will uns unterdrücken“, sagt er kauend, ein Mann wie ein Bär, trinkfest und ein exzellenter Schütze, „aber das werde ich verhindern.“

Er drückt den Gashebel der „Najaaraq“ ganz hinunter, die 280 PS des Innenborders röhren auf und Jens B. Frederiksen, 44 Jahre alt, Vizepremierminister Grönlands und im früheren Leben Polizist, rast mit dreißig Knoten auf den Gletscher am Ende des Fjords zu, von dem der Eisbrocken beim Kalben gefallen ist. Er weicht mit seinem Schnellboot den Schollen aus, die immer dichter vor dem Bug auftauchen und an seinem stahlverstärkten Rumpf kratzen. „Es ist wie ein Computerspiel“, ruft er über den Motorenlärm hinweg. „Es gibt nur einen Unterschied, wir haben ein einziges Leben übrig, dann ist Game Over.“

Der Sermia-Gletscher erstreckt sich jetzt direkt vor dem Boot des Ministers, wie ein erstarrter Lavastrom ragt er vom Land in den Fjord. Er steckt zwischen zwei Gebirgsmassiven und weil er schmilzt und so immer mehr in sich zusammensackt, gibt er auf jeder Seite der Schlucht Zentimeter für Zentimeter mehr hellen Stein frei. Zwei weiße, wachsende Streifen.

Seit Frederiksen sein Land als Politiker in der Welt vertritt, macht er die achtstündige Bootstour zum Gletscher nur noch selten. Die beiden Streifen sind jedes Mal ein Stück breiter geworden in den vergangenen Jahren.

Wegen der Streifen sieht die Welt auf Grönland, sie sind nur wenige Meter breit, aber nirgends hat die Natur den Klimawandel so leicht lesbar in so idyllischer Umgebung in Szene gesetzt wie am Narsap Sermia.

Hannes Braun hat Grönland nie betreten, „zu gefährlich“, sagt er, „die Grönländer können uns nicht ausstehen, weil sie glauben, wir würden ihrer Wirtschaft schaden“. Er ist 27 Jahre alt und Baumpfleger aus Herbrechtingen-Bissingen, zu Greenpeace gehört er, seit er 14 ist. Braun ist nicht sein richtiger Name, weil es nicht ganz legal ist, was er bei einer dieser Aktionen vor der Küste Grönlands vorhat.

„Wir haben in meiner WG lange darüber diskutiert, ob man das darf, stören in einem fremden Land“, sagt Braun, während er sich in einen roten Überlebensanzug zwängt. In Stuttgart hat er mal eine Nacht auf einem Baum im Schlosspark verbracht, Protest gegen den Bahnhofsbau.

4. Juni 2011. Es ist kurz nach vier Uhr morgens auf der „Esperanza“, einem russischen Feuerlöschschiff, mit dem die Greenpeace-Aktivisten seit zehn Jahren um die Welt fahren. Hundert Seemeilen vor der grönländischen Küste liegt es in der Meerenge Davis Strait vor Anker. Die Mannschaft wacht gerade auf.

In der Nacht hat die „Esperanza“ ihr Ziel erreicht, den Ort, über den an Bord seit Tagen alle sprechen, mit Furcht, Trotz und der wachsenden Sicherheit, das Richtige zu tun. Nun liegt die „Leif Eriksson“ eine Seemeile entfernt im zartrosa Licht des Arktismorgens: eine Hochsee-Bohrinsel, gechartert von der schottischen Ölfirma Cairn Energy. Seit Tagen treibt sie ihren Bohrer in die Gesteinsschichten unter dem Meeresboden, auf der Suche nach Öl.

Grönland: Alkoholiker, Suizide, keine Perspektive

Jens Frederiksen, der Politiker, sagt, er würde die, die Grönland die Öl-Chance vermasseln wollen, gerne auf sein Boot einladen und mit ihnen in die Dörfer an der Ostküste fahren, wo die Hälfte der Menschen weit unterhalb des Armutsstandards der EU lebt. „Die Leute haben dort Hunger, und das Jagen bringt schon lange nicht mehr genug ein“, sagt er.

Wer an einem Freitagabend kurz nach Monatsanfang durch die Kneipen der Hauptstadt Nuuk zieht, kann beobachten, wie die Abgehängten und Hoffnungslosen aus ihren Wohnblocks strömen und in der Kristinemut-Bar trinken, um zu vergessen.

BP, Shell und ExxonMobil haben Grönland seit den Siebzigern im Auge, aber ein Engagement nie gewagt. Doch seit zwei Jahren ist das Eis nicht mehr ewig und Schiffe gelangen durch die Nordwestpassage vom Atlantik in den Pazifik. Noch nie war das Eis vor der Küste Grönlands so lange getaut. Es gab zum ersten Mal ein Areal auf dem Meer frei, dessen verborgenen Schätze Europa und die Welt mit Energie versorgen könnten.

Der Geologische Dienst der USA hat errechnet, dass unter den Meeresböden vor Grönland 52 Milliarden Barrel Öl liegen könnten. Das entspricht der gesamten Erdölproduktion der Nordsee in den vergangenen vierzig Jahren. Oder einem Fünftel der Erdölreserven Saudi-Arabiens. Oder vielen Milliarden Dollar, die nur aus der Tiefe gefördert werden müssten.

Sie könnten aus Grönland das reiche Norwegen der Arktis machen, ausgestattet mit einem milliardenschweren Fonds für die Zukunft seiner Bürger, mit exzellenter medizinischer Versorgung, niedrigen Steuern.

Das Öl könnte die demütigende Abhängigkeit Grönlands von Dänemark beenden. Jedes Jahr überweist das kleine Land der riesigen Insel, dreimal so groß wie Texas, Alimente von 3,2 Milliarden Kronen, 7.500 Euro sind das pro Person.

„Das Öl wird uns die Autonomie bringen, die lass ich mir nicht von ein paar Greenpeace-Idealisten nehmen“, sagt Jens Frederiksen, der zweite Mann im Staat, der ExxonMobil, Royal Dutch Shell, Statoil und Cairn Energy ins Land geholt hat, „Big Oil“. Die Firmen haben bei ihm Bohr-Lizenzen erworben. Ginge es nach ihm, er hätte ihnen die Rechte wohl auch geschenkt.

Denn was hat Grönland zu verlieren? Eine Volkswirtschaft, die ohne Hilfe nicht funktioniert, 56.000 Einwohner auf der größten Insel der Welt, ein Drittel ohne Arbeit und zwei Drittel ohne Berufsausbildung – wenn man Jäger nicht mitrechnet? Menschen ohne Perspektive, die größte Alkoholikerdichte der Nordhalbkugel, die höchste Suizidrate der Welt.

Hannes Braun hat in einer der Sechserkojen auf der „Esperanza“ nur ein paar Stunden geschlafen, jetzt versucht er die Kälte des Arktismorgens wegzuarbeiten. Er packt an, als die Schlauchboote mit den Bordkränen ins Wasser gelassen werden, niemand spricht ein Wort.

Die Dänen folgen auf dem Kriegsschiff

Dann heulen fünf Motoren auf, die vollbesetzten Greenpeace-Schnellboote jagen aus der Deckung der „Esperanza“ auf die „Leif Eriksson“ zu, Gischt spritzt, der Wellengang lässt sie auf und ab hüpfen, schlägt die Helme zweier Aktivisten aneinander, sie klammern sich an den Halteseilen fest. In den Gesichtern der Studenten steht die Angst, die Müdigkeit, das Adrenalin. „Let’s go“, brüllt einer der Bootsführer.

Braun wischt sich die Tränen des Fahrtwindes aus den Augen. Er hat zum Frühstück einige Nüsse gegessen, hat alle seine Sachen in die große Reisetasche gepackt und die Adresse seiner WG in Tübingen darauf notiert, „für den Notfall“, mit dem er nicht rechnet und der dann doch schneller eintritt, als alle dachten.

Vom Schwesterschiff, dem wenige Seemeilen entfernten Eisbrecher „Arctic Sunrise“, ist nun der Greenpeace-Helikopter eingetroffen und fliegt über dem Konvoi der Aktivisten auf die Bohrinsel „Leif Eriksson“ zu. In ihm sitzen an der offenen Tür der amerikanische Dokumentarfilmer Branan Edgens und ein englischer Fotograf. Sie halten den Sturm auf die Bohrinsel in High Definition fest. Ihre Bilder erreichen die ersten Nachrichtenagenturen zwei Stunden später. Sie zeigen das arktische Meer im Morgenglanz, winzige Boote, die übers Wasser auf ein Metallungeheuer zurasen, das wie ein riesiges Insekt auf dem Meer hockt und seinen Stachel in Mutter Erde bohrt.

Braun springt aus seinem Schnellboot auf die kleine Eisenleiter an einem der Füße der „Leif Eriksson“, klettert mit der Behändigkeit des Baumpflegers auf die Plattform, verschanzt sich in einer Garage der Bohrinsel und wartet ab.

Ein Kriegsschiff der dänischen Marine ist der „Esperanza“ tagelang gefolgt, den morgendlichen Einsatz gegen die „Leif Eriksson“ aber haben die Soldaten verschlafen. Erst zwei Stunden später wird Hannes Braun von ihnen festgenommen. Ein Militärhubschrauber bringt ihn und die 18 anderen Aktivisten ins Stadtgefängnis nach Nuuk. Für die meisten ist es der allererste Kontakt mit dem Land, dessen Wirtschaftspläne sie bekämpfen.

Unterdessen wählt einer seiner Kameraden vom Schiff aus immer wieder die schottische Nummer von Cairn Energy in Edinburgh. Der Aktivist will Simon Thomson an den Apparat bekommen, den Chef des Unternehmens, das Greenpeace zu seinem neuen Hauptfeind erklärt hat. Doch Thomson ist an diesem Sonntagmorgen nicht ans Telefon zu bekommen. Und so spricht er auf die Mailbox, was Greenpeace fordert: Stoppt das Bohren, sofort.

Greenpeace hat bereits mit einem lebensgroßen Stoffeisbären die Eingangstür des Firmensitzes von Cairn im Zentrum von Edinburgh blockiert, die Mitarbeiter mussten durch die Notausgänge nach Hause gehen. Nun blockieren die Aktivisten das Herz der Firma auf hoher See: Solange sie auf der Plattform sind, müssen die Schotten das Bohren stoppen, hunderttausend Dollar kostet ein halber Tag Nichtstun.

In Indien hatte Cairn dem großen Wettbewerber Shell vor gut zehn Jahren Bohrlizenzen für ein Gebiet im Hinterland abgekauft und sieben Millionen Dollar dafür bezahlt. Dann gelang Cairn, woran Shell scheiterte: das Erschließen von Ölquellen unter härtesten Bedingungen.

Die Schotten haben ihr Indiengeschäft an einen lokalen Ölkonzern verkauft, für sechs Milliarden Dollar. Seitdem wird Cairn im FTSE 100 geführt, dem Index der 100 größten britischen Konzerne. Der Deal hat die Millionen für die Arktis freigemacht. Geld, mit dem sich Cairn in Grönland die Geduld leisten kann, die das Unternehmen jetzt braucht.

Denn Simon Thomson blickt auf ein Geschäftsjahr in der Arktis zurück, das er seinen Aktionären genau erklären muss: Eine Milliarde haben die Bohrungen bislang gekostet, auf Öl sind die Ingenieure dabei noch nicht gestoßen. Und trotzdem muss der Chef von Cairn Energy die Wut der Anleger nicht fürchten. Mit seinen Finanzvorständen entschied er 2011, eine Dividende von insgesamt 3,5 Milliarden Dollar an die Aktionäre auszuzahlen. Dem Unternehmen blieb dann cash nach Steuern immer noch eine Milliarde aus dem Indiengeschäft, mit der sich die Schotten in der Arktis den langen Atem leisten können. „Wir haben jetzt kein Öl gefunden“, sagt Thomson, ein Riese mit feingliedrigen Händen, eigentlich Jurist, seit zwanzig Jahren hinter dem Öl her. „Dann wird es in den nächsten Jahren passieren.“ Auch der langjährige Direktor der grönländischen Behörde für Rohstofffragen teilt die Geduld des Briten: Die bisherigen Kohlenwasserstoff-Funde seien „sehr ermutigend“, sagt er.

Während die britische Regierung erst in dieser Woche verkündete, sie werde sich den arktischen Bohrungen nicht entgegenstellen, wertet Cairn seine Proben aus und plant einen neuen Anlauf.

Die Schotten besitzen am lukrativen Indiengeschäft noch Anteile im Marktwert von rund drei Milliarden Dollar, die Cairn jederzeit kapitalisieren kann. Das kleine Unternehmen aus Edinburgh will in Grönland versuchen, was in Indien funktionierte. Dort trieben die Cairn-Ingenieure ihre Bohrer so lange in den Wüstensand von Rajasthan, bis sie Öl fanden. Dann bereiteten sie die Anlagen auf die Produktion vor und verkauften sie an die Großen der Branche, wie Shell, Vedanta, BP. Die Rendite für die Anleger wuchs. Warum sollte dieses Modell in der Arktis nicht zu wiederholen sein?

Für den Chef von Cairn ist es eine Frage des Ölpreises

Vor Ort in der Hauptstadt Nuuk ist Cairn Energy ein Phantom. Ein einziger Mann repräsentiert die Firma, reden darf er nicht. Sein Job ist es vor allem, Simon Thomson zu empfangen, den Chef von Cairn, wenn er das Land besucht, dessen Bodenschätze sein Unternehmen ausbeuten will. Der Repräsentant hat wenig zu tun, Thomson bevorzugt sein Edinburgher Büro.

„Am Ende ist das Ölgeschäft ziemlich mathematisch“, sagt er. Findet Thomson 500 Millionen Barrel Öl unter dem Eis, wird das Abenteuer ein Geschäft, wenn der Preis pro Barrel nicht unter 40 Dollar sinkt, aktuell liegt er mehr als doppelt so hoch. Findet er nur 250 Millionen Barrel, darf er nicht unter 60 Dollar fallen. Das ist die ganze Logik. „Es gibt immer den richtigen Zeitpunkt, um Werte zu schaffen“, sagt Thomson. „Und der richtige Zeitpunkt ist in Grönland jetzt.“

Thomson ist gut darin, die Einheimischen in den Ländern für sich einzunehmen, in die er investiert. Er verspricht Devisen, Bildung, Steuereinnahmen. Was er verschweigt, ist die Katastrophengefahr, die sein Engagement immer bedeutet. Der Tanker „Exxon Valdez“ lief 1989 auf das Bligh-Riff vor Alaska, bis heute hat sich die Natur dort nicht von der Katastrophe erholt. Im Golf von Mexiko geriet die „Deepwater Horizon“ in Brand, eine Plattform wie sie Cairn Energy mit der „Leif Eriksson“ jetzt in der Arktis einsetzt.

Warum sollte sich die Katastrophe nicht wiederholen, diesmal vor Grönland? „Wir gehen von einer hundertprozentigen Sicherheit aus“, sagt Thomson.“ Mehr sagt er dazu nicht.

Doch Cairn bohrt in Grönland, wie BP im Golf von Mexiko, nur wesentlich riskanter. Wenn Öl auf Wasser trifft, können Putztruppen reagieren. Trifft Öl auf eine geschlossene Eisschicht, ist die Lage aussichtslos. Retter müssen auf die Schmelze im Sommer warten, um durchzukommen. „Es gibt nun mal einen riesigen Bedarf an Energie“, sagt Thomson.

Es ist die Strategie der Schotten, sich als die Retter von Grönlands wirtschaftlicher Zukunft zu inszenieren. Dass Arbeitsplätze entstehen werden, daran zweifelt in Nuuk auch der Direktor des Arbeitgeberverbandes nicht. Er will Jobs für Grönland. Aber er ahnt, dass nur die Ingenieure, die hochqualifizierten Arbeiter und die Zulieferer von komplizierter Fördertechnik sie am Ende auch bekommen: „Die Inuit werden den Leuten beim Geldverdienen wieder nur zuschauen.“

Die anderen, das sind die Dänen, die Gebildeten, Qualifizierten, die wahren Profiteure des Ölrauschs. Es ist leicht im kleinen Nuuk, diese Theorie für wahrscheinlich zu halten. Die Fischer im Hafen, Markthändler, die Servierer, Köche, Zimmermädchen, die angestellten Bootsführer, Gepäckträger und kleinen Polizisten – sind Inuit.

Der Besitzer der Fischfabrik, der Taxi-Betreiber, der Boots-Verleiher, der Pilot und der Öl-Minister – sind Dänen.

Und Männer, aber von der Gleichberechtigung spricht in Grönland auch niemand.

„Greenpigs“ nennen manche die Aktivisten

Die Inuit sehen sich als ewige Verlierer der Geschichte. Sie können die gebildeten Dänen nicht leiden, die auf ihrer Insel ihr Glück versuchen. Und sie hassen Greenpeace-Aktivisten, die das Leben ihrer Großeltern zerstört haben. Auf Facebook gibt es eine Greenpeace-Hass-Seite. „Greenpigs“ nennen die Leute die Aktivisten dort.

Der Hass ist ein ererbter, seit die Umweltschützer in den Siebzigern erfolgreich gegen den Robbenfang kämpften, mit Bildern blutig geschlagener Heuler und einer bezaubernden Brigitte Bardot, die mit den Fellknäueln schmuste. Niemand interessierte, dass kein Inuit aus Grönland je ein Jungtier getötet hatte.

Die EU verbot die Einfuhr von Robbenfellen, Tausende verloren ihre Lebensgrundlage, nun wiederholt sich die Geschichte. So sehen es die Grönländer heute. Sie wollen sich die Zukunft nicht wieder verbauen lassen.

Ihre Gegner von Greenpeace sind jung, studieren, leben in Großstädten überall auf der Welt. Die Anthropologie-Doktorandin aus Madrid, die Orientalistin aus Hongkong, Braun, der Forstwirt aus Tübingen, und Paul Simonon, Bassist von The Clash.

Sie sind die Crew der „Arctic Sunrise“ und der „Esperanza“, der beiden größten Greenpeace-Schiffe in der Flotte, dreißig Leute in wechselnder Besatzung insgesamt. Es ist ihr zweiter Sommer in der Arktis. Ihre Aktionen schaffen es immer wieder in die Nachrichten dieser Welt.

„Wir haben Cairn Energy das Leben schwergemacht“, sagt ein Aktivist „jetzt werden wir jeder Ölbohrplattform wie ein Schatten folgen und stören, wo wir können.“

Greenpeace nennt die Arktis seine „neue Front“. Zum vierzigsten Geburtstag 2011 hatte die Organisation das ewige Eis als Kulisse für eine Wiederbelebung des alten Kampfes Gut gegen Böse entdeckt, „Rainbow Warrior“ gegen den französischen Geheimdienst am Mururoa-Atoll. „Internationale Konzerne haben die Ozeane überfischt und den Regenwald ausgebeutet. Diese Raubzüge, die immer wilder werden und schneller, werden auch die Arktis treffen. Deshalb tragen wir hier den entscheidenden Umweltkrieg unserer Zeit aus“, sagte John Sauven, er ist der britische Greenpeace-Direktor. „Es ist der alte Kampf David gegen Goliath.“

Die Rolle des listigen David hat Greenpeace über Jahrzehnte kultiviert und generiert inzwischen aus Spenden, Verkäufen und dem Vertrieb grünen Stroms ein Jahresbudget von 239 Millionen Euro. Die Summe finanziert eine ganzjährig unterhaltene Schiffsflotte, Helikoptermieten, Gehälter, Immobilien überall auf der Welt. Allein je 16.000 Euro kostet der Betrieb der beiden Schiffe in der Arktis, „Esperanza“ und „Arctic Sunrise“, am Tag. Längst ist Greenpeace ein grüner Goliath, der sich mit den PR-Abteilungen der Öl-Konzerne messen lassen muss. Ende Juni 2012 offenbarte sich der Brit-Pop-Star Jarvis Cocker im Observer als das neue Gesicht der Arktis-Kampagne. Für das Titelbild des Magazins ließ der Sänger sein Markenzeichen, eine schwarze Hornbrille, und seinen Vollbart mit Kunsteis überziehen. Traurig sah er in die Kamera. „Der Kampf gegen das Öl in der Arktis ist die Kampagne unserer Generation“, sagt er.

Cairn Energy, der Feind, mag die Milliarden haben, um sich das Bohren noch ein, zwei Jahre leisten zu können. Greenpeace kann sich auf die Unterstützung einer ständig nachwachsenden Generation umweltbewusster Großstädter verlassen, auf ihre Idole und auf ihr Geld.

Jens Frederiksen, der Vize-Premier, ertappt sich immer wieder mal bei einer Rechnung. Er ist jetzt Mitte vierzig, vor seiner Rente wird er kaum erleben, auch nur ein Tropfen Öl kommerziell gefördert zu sehen. Zehn, zwanzig Jahre dauert es meist von der Idee bis zur ersten Devise – wenn niemand protestiert. 1979 wurde vor der Küste Neufundlands Öl gefunden. 1997 floss das erste Barrel. Heute gehört die Gegend zu den wohlhabendsten der Welt.

Der Minister zieht betrunken durch die Nacht

„Da müssen wir hin“, sagt Frederiksen, als er an einem Sommerabend auf seiner Veranda zum Barbecue einlädt. Seine Freunde sind Musiker, Elektriker, Lehrer, Taxifahrer. Es ist nicht schwer in Grönland, mit dem Premier in einer der nie endenden Nächte ein Bier zu trinken. Oder zwei, und dann den selbst gebrannten Schnaps, den Likör, und dann wieder das Bier, das übersetzt „Erik der Rote“ heißt, nach einem der ersten Siedler auf Grönland vor 1.000 Jahren.

Als es nach Mitternacht ist, aber hell wie am Nachmittag, ziehen alle los in die Stadthalle neben dem Parlament, zu einem Konzert. Vorne der Minister, leicht schwankend, gestützt von seiner Frau Pia, und hinter ihm eine Schar junger Grönländer, die singen, rauchen und immer noch ein Bier mehr trinken.

Die Band heißt Tasiilaq, sie spielt sonderbare Musik, traurig wie manches Inuit-Gesicht, aggressiv wie Black Sabbath. Jens Frederiksen hat seine Frau zum Tanzen geschickt, er steht jetzt an eine Wand gelehnt, ein Heineken in der Hand, und brüllt an gegen die Musik. Er will jetzt nochmal genau erklären, wie es ist, mit dem Öl, mit Greenpeace, den Grönländern. Sie sind doch so nah dran am Erfolg, am Glück, an der Unabhängigkeit, und da sollen doch die Bedenkenträger bitte nach Hause gehen, nein besser, dorthin, wo die Erde wirklich in Gefahr ist, nach Afrika. Dann stößt er sich von der Wand ab, sucht in der Menge nach seiner Frau und schreit im Weggehen: „Es ist einfach nicht fair.“

Jochen Brenner, 35, ist freier Autor in Hamburg. Ein Pilot flog ihn vom kanadischen Iqaluit in die Davis Strait zur „Arctic Sunrise“. In Grönland dürfen Greenpeace-Helikopter nicht landen