Ein riskantes Spiel

Erst blass, dann versöhnlich: Das Düsseldorfer Museum K20 zeigt eine umfassende Schau zum Werk des französischen Malers Henri Matisse – und stellt die weibliche Figur im Innenraum in den Fokus

VON KÄTHE BRANDT

Eine üppig dekolletierte weibliche Figur liegt in einem breiten Fauteuil, das Zimmer um sie herum glüht dunkelrot. Ein mit einem Stillleben überladener Tisch beschwert die linke Bildseite. Malerisch nur angedeutet, scheint die Frau dort aus dem Bild zu kippen. Rechts steht, leicht und klar gezeichnet, ein rosafarbener Stuhl. Auf ihm liegt eine blaue Zeichenmappe.

Und so lautet auch der Titel des Bildes von 1945 aus der Sammlung Berggruen in Berlin: „Die blaue Zeichenmappe“. Eigentlich aber handelt es, wie die meisten anderen der im Düsseldorfer K20 gezeigten Bilder, vom prekären Verhältnis der weiblichen Figur zu ihrer lebensräumlichen Umgebung. Das K20 hat mit der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel rund 190 Werke des französischen Malers Henri Matisse (1869-1954) aus Museen und Privatsammlungen der ganzen Welt zusammengetragen: 90 Gemälde, 80 Zeichnungen und Graphiken sowie 25 Skulpturen. Manche der bedeutenden Bilder sind nicht dabei. Das mag angesichts der thematischen Zentrierung nicht so sehr ins Gewicht fallen, dem Publikum aber doch ins Auge. Die geschickte Hängung kann nur oberflächlich verbergen, dass wichtige Gemälde fehlen und durch Zeichnungen und Graphik natürlich nicht ersetzt werden können.

Die Bilderschau wird also mit den Papierarbeiten über drei Etagen gestreckt und wirkt dadurch als Gesamtspektakel leicht blass. Das fulminante Finale der Ausstellung aber, das mit zwei betörenden blauen Scherenschnitten und dem „Roten Interieur“ von 1947 den langen Rundgang beschließt, stimmt versöhnlich. Die von Pia Müller-Stamm kuratierte Ausstellung hat das breite Oeuvre von Matisse auf einen motivischen Schwerpunkt konzentriert, der gleichwohl die Bandbreite seiner Kunst anschaulich machen soll. Die weibliche Figur im geschlossenen oder sich öffnenden Innenraum ist ein zentrales Motiv im Werk des Künstlers und begleitete ihn in verschiedensten Abwandlungen nahezu während seines gesamten Schaffens. In der Düsseldorfer Ausstellung wird es erschöpfend ausgebreitet.

Die Kunst des 20. Jahrhunderts ohne Henri Matisse? Kaum vorstellbar. Die Versöhnung von Figuration und Abstraktion oder die exstatische Befreiung der Farbe sind wesentliche Errungenschaften des Fauvismus und Expressionismus. Der Kampf der Bildgegenstände, die gleichzeitig realer Körper und dekoratives Element sein wollen, ist bei Matisse zu einem großartigen und riskanten Spiel geworden. Die Harmonie, in die er die widerstreitenden Bildelemente mit leisem Nachdruck zwingt, ist atemberaubend, aber immer äußerst heikel und gefährdet.

Der Ausstellungstitel „Figur – Farbe – Raum“ weist knapp darauf hin, worum der Künstler gerungen hat: um die Spannung zwischen abstraktem farbigen Bildmuster, Bildarchitektur und Motiv, um die Verräumlichung und Verlebendigung von Farbflächen, um chromatische Intensität und um die Balance von Figur und Raum in einem neuen Bildsystem. Die weiblichen Figuren seiner Bilder lesen, schlafen, blicken aus dem Fenster oder träumen vor sich hin, passiv bieten sie sich dem männlichen Blick dar, zugespitzt in dem Sujet „Maler und Modell“. Der weibliche Akt wird bei Matisse zum Austragungsort der Konflikte zwischen dem realistischen und dem dekorativen Element und zu einem Sinnbild für den Umgang mit einer männlich geprägten Bildtradition und -rezeption. Die Anhäufung von Mustern, etwa in der steifen und wie gedrechselt dasitzenden Frau in dem Bild „Dekorative Figur vor ornamentalem Grund“ von 1925/26 mit Rokokospiegel, Teppichen, Blumenkübel, Tüchern und Tapisserien, erschreckt und verführt gleichermaßen. Der weibliche Körper wird selbst eine dekorative Arabeske. Vom Künstler zugleich kontrolliert und befreit.

Kunstsammlung K 20, Düsseldorfbis 19. Februar 2006Katalog 25 Euro