„Der Lenin-Kopf hat eine schillernde Ästhetik entwickelt“

Das bleibt von der Woche Der Club „Neue Heimat“ wird erst gerettet und initiiert dann seine Schließung, eine Hausbesetzung für Flüchtlinge scheitert, ein Stück verscharrtes Lenin-Denkmal wird wieder ausgebuddelt, und im Umgang mit den Flüchtlingen ändert sich einiges

Eine sonderbare Posse

„Neue Heimat“ macht dicht

Die Betreiber des Clubs wollen ihr Ziel mit der Brechstange erreichen

Die „Neue Heimat“, beliebt für ihren Food-Market auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain, muss schließen. Dann doch nicht. Jetzt haben die Betreiber des Clubs angekündigt, dass sie selbst am Montag ihren Laden dichtmachen. Wenn diese Zeilen erscheinen, ist vielleicht wieder alles anders.

Der Fall „Neue Heimat“ hat sich zur sonderbaren Posse hochgeschaukelt. Die eine Seite, der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, verlangt von der anderen, dass sie sich an Abmachungen hält. Das bedeutet für die Neue Heimat, Street-Food anbieten zu dürfen und hier und dort eine Veranstaltung mit Musik. Die Club­betreiber wollen mehr: Sie wollen raus aus ihrem Status. Und sie wollen mehr Partys, sie wollen machen, was ihnen gefällt, nicht dem Bezirksamt. Weil ihnen aber keine Carte blanche erteilt wird, haben sie Tatsachen geschaffen, Open-Air-Discos veranstaltet, Räumlichkeiten genutzt, die nicht genehmigt wurden. Der Bezirk kam sich wohl vor wie Eltern, die abends das Haus verlassen, ihren Kindern erlauben, bis 21 Uhr aufzubleiben und einen Tierfilm zu sehen, um sie nach Rückkehr gegen Mitternacht beim Glotzen eines Horrorfilms zu erwischen.

Die Macher der „Neuen Heimat“ haben bewiesen, dass sie ihren Club bespielen können. Wie sie das tun, muss nicht jedem gefallen, aber sie sollten sich konzeptuell weiterentwickeln dürfen, natürlich ohne dabei gegen bestimmte Sicherheitsauflagen zu verstoßen. Nun aber wollen sie ihr Ziel mit der Brechstange erreichen: mit einer selbst initiierten Schließung, um allein dem Bezirk den Schwarzen Peter zuzuschieben. Das wird nicht funktionieren. ANdreas Hartmann

Die Idee drängte sich geradezu auf

Besetzung für Flüchtlinge

Die Idee eines „Sozialen Zentrums für alle“ konnte so nicht verwirklicht werden

Es drängt sich praktisch auf: Immer wieder werden Flüchtlinge in die Obdachlosigkeit geschickt, weil es offiziell keine Unterbringungsmöglichkeiten für sie gibt. Gleichzeitig stehen wie eh und je Gebäude in Berlin leer. Und es gibt eine Stimmung in der Stadt, die von Solidarität mit den Neuankömmlingen geprägt ist – und auch von wachsender Kritik am Umgang der PolitikerInnen und Behörden mit der Situation.

Die AktivistInnen vom Bündnis für bedingungsloses Bleiberecht, die am Donnerstag für einige Stunden ein Haus in Tiergarten besetzten und dort eine selbstverwaltete Flüchtlingsunterkunft einrichten wollten, haben deswegen absolut nachvollziehbar gehandelt. Es ist eine gute Idee, etwas dagegen zu tun, dass ein großes Gebäude seit Jahren leer steht, während nur ein paar hundert Meter entfernt im Tiergarten diejenigen übernachten, die auch nach Tagen am Lageso keinen Schlafplatz bekommen. Es ist auch eine gute Idee, eine Unterkunft für Flüchtlinge schaffen zu wollen, in der die Menschen nicht nur grundversorgt und verwaltet werden, sondern in Austausch mit sozialen Initiativen treten können.

Nur: Die Aktion wäre ungleich erfolgversprechender und anschlussfähiger gewesen, wäre sie breiter getragen worden, wenn dort mehr als ein paar Vermummte gestanden hätten. Wenn man sich von vorneherein mit möglichst vielen Menschen zusammengetan hätte, die die sicherlich auch jenseits der linken Szene nachvollziehbaren Anliegen teilen. Nicht zuletzt hätte man so den politischen Preis für eine Räumung in die Höhe treiben können. Keine Frage: Auch mit einer solchen Aktion erreicht man Aufmerksamkeit für seine Anliegen, und vielleicht ging es den AktivistInnen ja auch gar nicht um mehr. Aber die sich aufdrängende, die gute Idee eines „Sozialen Zentrums für alle“ – sie bleibt so unverwirklicht. Malene Gürgen

Was Lenin uns lehrt

Ein Denkmal ist zurück

Der Lenin-Hype erinnert an Leerstellen, die in die Stadt gerissen wurden

Hätte es sich um den Sarkophag des Tut-Anch-Amun gehandelt oder das Turiner Grabtuch, das mediale Interesse wäre kaum größer gewesen. Dabei wurde auf der Spandauer Zitadelle am Donnerstag nichts weiter vom Lastwagen gehoben als ein Steinklotz, in den ein Bildhauer in den 1960er Jahren die Züge eines russischen Politikers gehauen hatte. Die Faszination für historische Zeugnisse nimmt bisweilen sonderbare Formen an.

Könnte man sagen. Aber die Süffisanz verfehlt den Punkt: Die Strahlkraft eines historischen Objekts hängt ja nicht nur an seinem Alter oder seinem materiellen Wert. Der Kopf des Berliner Lenin-Denkmals, das der Diepgen-Senat nach der Wende schleunigst schleifte und in der hintersten Ecke des Köpenicker Forsts verbuddelte, hat in seiner – objektiv betrachtet – ziemlich kurzen Geschichte eine schillernde Aura entwickelt. Er steht für eine einst machtvolle, dann totgesagte Ideologie, für einen verblichenen Staat, dem immer noch manche hinterhertrauern, für die biografischen Brüche vieler BerlinerInnen.

Dass Lenin so viel Glanz auf das künftige Denkmal-Museum in der Zitadelle wirft, war nie die Absicht der AusstellungsmacherInnen. Wenn er ein Publikumsmagnet wird, werden sie aber letztlich davon profitieren. Denn die oft wenig subtile Geschichtspolitik, die aus den Denkmälern verschiedener Epochen spricht, und auch der spätere Umgang mit diesen Denkmälern sind ja spannende Sujets, die hoffentlich auch spannend aufbereitet werden.

Der Lenin-Hype erinnert aber auch an die vielen Leerstellen, die aus Geschichtsvergessenheit oder als Machtdemonstration ins Stadtbild gerissen wurden. Zu viele Stachel wurden Berlin unüberlegt gezogen. Wenn sie nun museal inszeniert werden, ist das gut und richtig, aber am ursprünglichen Ort – gerne auch angemessen verfremdet – wäre ihre Aussagekraft weitaus größer.

Nur der Palast der Republik, der wird so oder so nicht wiederaufgebaut. Denn der passt leider in kein Museum.

Claudius Prößer

Der neue Mut der Flüchtlinge

Gnadenhandel

Die Haltung der Politik ist so ungewohnt, dass man misstrauisch wird

Da ändert sich gerade so einiges im Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland und auch in Berlin. Nicht nur die immer mehr Menschen mitreißende Hilfsbereitschaft ist atemberaubend – auch die Politik reagiert immerhin teilweise ungewohnt. Erstaunlich aber auch: das Selbstbewusstsein, mit dem Flüchtlinge, vor allem syrische, sich hinwegsetzen über Grenzen, Zäune, geltende Regeln. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, dennoch: Das alles ist zunächst mal gut.

Doch woher kommt dieser Mut, dieses Selbstbewusstsein, dass Tausende dazu bringt, zu Fuß dahin zu ziehen, wo sie hinmöchten, statt hinter den Stacheldrahtzäunen zu bleiben, die extra für beziehungsweise gegen sie aufgestellt wurden? Das auch in Berlin Flüchtlinge gegen alle Regeln und Erwartungen Unterbringung ablehnen lässt, weil sie lieber zu Verwandten in Bochum wollen?

Die Unterstützung, die Flüchtlinge derzeit vielerorts und von vielen Menschen erleben, mag dazu beitragen. Doch ein Großteil der Voraussetzungen bringen sie selber mit. Sie flüchten vor einem Diktator, der sie als rechtlose, von seiner Gnade abhängige Untertanen betrachtete. Dass sie sich nun auch im Demokratievorbild Europa nicht damit abfinden wollen, rechtlos und von der Gnade der Herrschenden abhängig zu sein, ist richtig und gut. Es ist in seinem Vertrauen auf europäische Humanität und Gerechtigkeit eigentlich ein Kompliment für unsere – gerade für Nicht-EU-BürgerInnen – doch eher eingeschränkten Demokratien.

Doch ganz so demokratisch ist das vielleicht gar nicht. Denn dass das klappt, liegt auch wieder an der gnädigen Haltung, die manche PolitikerInnen syrischen Flüchtlingen gegenüber derzeit zeigen. Die ist angesichts der bisherigen Asylpolitik Deutschlands und der EU so ungewohnt, dass man geradezu misstrauisch werden muss. Und tatsächlich: Während die Zäune Europas für Flüchtlinge aus Syrien geliftet werden – was diese dazu bringt, Angela Merkel als Engel zu sehen –, sind auf außenpolitischer Ebene erste Stimmen zu hören, die Verhandlungen mit Syriens Diktator Baschar al-Assad fordern. Das hat die syrische Opposition bisher abgelehnt. Doch vielleicht geht der Deal ja auf. Alke Wierth