Software Jeder darf sie studieren, verändern und für jeden Zweck benutzen: Werkzeug mit vier Freiheiten
ist Vizepräsident der Free Software Foundation Europe (FSFE) mit Sitz in Berlin, für die er sich seit 2004 engagiert. Seit 1999 nutzt er Linux.
taz.zum wandel: Herr Kirschner, warum finden Sie freie Software so zentral?
Matthias Kirschner: Computer sind Werkzeuge – und Menschen sollen diese Technik selbstbestimmt nutzen und an ihre Bedürfnisse anpassen können. Wir sehen freie Software als eine Freiheit, die in der heutigen Gesellschaft andere Freiheiten unterstützt, wie zum Beispiel Pressefreiheit, freie Meinungsäußerung oder Privatsphäre. Computer sind überall präsent. Eine demokratische Gesellschaft muss die Regeln, die die technische Infrastruktur ihr vorgibt, selbst ändern dürfen.
Wie ist die Bewegung entstanden?
Früher war alle Software frei – es gab gar nicht die Vorstellung, dass sie jemandem gehören könnte. In einer solchen Hackerkultur ist der Programmierer Richard Stallman in den 1970er Jahren groß geworden. Er arbeitete am MIT in den USA – also im akademischen Bereich –, und damals haben sich die Softwareentwickler untereinander ausgetauscht, voneinander gelernt und Probleme gemeinsam gelöst. Doch nach und nach hielten immer mehr Leute den Quellcode ihrer Softwareentwicklungen geheim: Mit solchen Monopolpositionen ließ sich Geld verdienen. Es ging Richard Stallman völlig gegen seine Überzeugung, dass andere Leute darüber bestimmen sollten, wie er mit Software umgeht. Deshalb fing er an, ein Betriebssystem zu schreiben, bei dem vier Freiheiten garantiert sind: Jeder darf sie verstehen, verbreiten, verändern und verbessern. Mit Copyleft-Lizenzen hat er ein Instrument geschaffen, um diese Freiheiten rechtlich langfristig zu schützen.
Stemmt sich die freie Software also gegen die Kommerzialisierung?
Nein. Frei steht bei freier Software für Freiheit und nicht für Freibier. Jeder Mensch darf sich anschauen, wie die Programme funktionieren und sie für seine Zwecke verwenden. Das heißt nicht, dass alles kostenlos ist: Wer freie Software entwickelt, verbreitet oder abändert, darf dafür Geld verlangen. Viele Unternehmen wollen, dass die Programme speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten werden, und fast alle Unternehmen verwenden inzwischen in zentralen Bereichen freie Software.
Müssen die Firmen ihre Weiterentwicklungen zur freien Verfügung stellen?
Nur bei Copyleft-Lizenzen und auch dabei nicht immer. Wenn sie die Software nur intern im Betrieb nutzen, können sie damit machen, was sie wollen. Wenn sie die Software jedoch weitergeben, müssen sie den nachfolgenden Nutzern die gleichen Freiheiten gewähren, die sie selbst bekommen haben.
Ändert denn die freie Software nun irgendetwas Grundsätzliches an unserem Wirtschaftssystem?
Ja. Unternehmen sind durch freie Software weniger abhängig von Softwareanbietern und Innovative können etablierten Unternehmen schnell Konkurrenz machen, was zu mehr Wettbewerb und Innovation führt.
Ist durch freie Software ausgeschlossen, dass Hintertüren einprogrammiert werden, um den Nutzern zu schaden oder sie auszuspionieren?
Viele Entwickler und Programmierer eint die Idee, dass Software und deren Quellcodes für jeden offen zugänglich und abänderbar sein sollten. Worin sich die Bewegungen unterscheiden, ist bei der Frage der Weitergabe- und der Verwertungsrechte. Die Freie-Software-Bewegung setzt sich für eine Verbreitung offener – nicht kostenloser – Software ein. Kommerzielle Nutzung ist für sie okay. Weil „frei“ in manchen Augen missverständlich war, gründete sich Ende der 1990er Jahre die Open-Source-Bewegung, die sich teilweise gegen die Kommerzialisierung von Software ausspricht.
Ausgeschlossen – nein. Jeder darf ja freie Software schreiben und verbreiten. Aber bei freier Software dürfen alle im Quellcode schauen, ob sie Hintertüren finden. Und umso mehr das machen, umso eher werden Hintertüren geschlossen.
Auch Google und Facebook verwenden freie Software, greifen private Daten ab und beliefern Geheimdienste. Ist das im Sinne der freien Softwarebewegung?
Eine der vier Freiheiten ist die Verwendung für jeden Zweck. Das hat eine extrem breite Zusammenarbeit ermöglicht, zugleich wird freie Software aber auch für Dinge verwendet, die viele Menschen schädlich finden. Geheimdienste und Militär können freie Software ebenso nutzen wie der vegane AKW-Gegner. Es gab immer wieder Diskussionen über Einschränkungen. Aber wenn wir anfangen, Zwecke auszuschließen, ist die Gefahr groß, dass wir nicht mehr gemeinsam Software entwickeln können. Andere Werte müssen die Menschen anders als durch die Lizenz der Software durchsetzen.
INTERVIEW: Annette Jensen
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