LeserInnenbriefe
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Das Grundgesetz ist eindeutig

betr.: „Das neue Deutschland“, taz vom 2. 9. 15

Vielen Dank für den differenzierten Artikel zum Thema Einwanderung. Allerdings verstehe ich die Vorstellung von Geschlechtergerechtigkeit nicht. Das Grundgesetz formuliert ebenso schön wie klar und eindeutig: Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Stattdessen wollen die Autoren mit Einwanderern Werte und Normen aushandeln, wie zum Beispiel „Frauen und Mädchen zu respektieren“. Diese Auffassung von Respekt, einer gewährten Anerkennung, setzt meiner Ansicht nach eine Bewertung, ein Machtgefälle voraus. Keines der Geschlechter ist befugt, das andere zu bewerten. Auch schließt der Begriff des „Aushandelns von Normen und Werten“ eine Relativierung der Normen und Werte mit ein. Ich finde es besser, sich in Fragen zur Geschlechtergerechtigkeit an das Grundgesetz zu halten.

LUCIA ALEKNA-HANSEN, Hamburg

Voraussetzungen fehlen

betr.: „Das neue Deutschland“, taz vom 2. 9. 15

Die Herren Leggewie und Cohn-Bendit formulieren in ihrem Artikel ihren Wunsch nach einem „neuen Deutschland“. Dieses soll frei sein von Rassendiskriminierung, es soll Frauen und Mädchen respektieren, sich an die neuen Migrationen anpassen und noch vieles mehr. Dieser Wunsch ist fromm, und jeder, der halbwegs bei Sinnen ist, wird sich mit Leggewie und Cohn-Bendit hinter den Idealen des neuen Deutschland versammeln können. Jedoch fehlen uns für die Umsetzung dieser Utopie leider wichtige Voraussetzungen.

Die Analysen von Leggewie und Cohn-Bendit sind ja durchaus zutreffend: Die von ihnen postulierten Verteilungskonflikte werden eintreten, unsere Toleranz und unser Wille zur Integration und zur Hilfeleistung für die Notleidenden vor unseren Haustüren wird dauerhaft auf eine harte Probe gestellt werden. Kurz: Unsere Einstellungen zu Flucht und Asyl werden sich ändern müssen.

Aber was sind die Voraussetzungen für Toleranz, Hilfe und Integrationsbereitschaft? Es sind Aufklärung, Menschlichkeit und Solidarität. Exakt diese Voraussetzungen wurden jedoch durch das handelnde politische und ökonomische Führungspersonal in den vergangenen Jahren erodiert: Die Einführung vonHartz IV mit seinen Mechanismen der Ausgrenzung und Drangsalierung, die Ausweitung der Leiharbeit, die Rentenkürzungen durch Verlängerung der Lebensarbeitszeit, der Zwang zur privaten Vorsorge, der Ausverkauf der für die Daseinsvorsorge zuständigen öffentlichen Betriebe wie Stadtwerke, Krankenhäuser, Post, Bahn und Telekommunikation haben zu einer fatalen Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens geführt: Richtig ist, was sich rechnet. Nicht, was gesellschaftlich nützlich wäre.

Diese Entwicklung finden wir auch auf europäischer Ebene: Wir retten lieber Banken statt Menschen. Für das Wohlergehen der privaten Kapitaleigner stoßen wir freimütig und ohne zu zögern ganze Volkswirtschaften in den Abgrund, siehe Griechenland.

Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass unsere Zivilgesellschaft sich noch Reste von Menschlichkeit bewahrt hat, die gerade jetzt zum Vorschein kommen. Daraus aber die Forderung abzuleiten, dass dieses „bewundernswerte Improvisationstalent“ der vielen freiwilligen Helfer „enttäuschungsresistent“ werden muss, deutet auf ein merkwürdiges Verständnis von Politik hin. Es kann nicht darum gehen, „enttäuschungsresistenten“ Freiwilligen die Arbeit mit den Flüchtlingen zu überlassen. Auch die Annahme, dass die flüchtenden Menschen durch die neuen Verteilungskämpfe die „Reichen und die Superreichen“ in unserem Land in Zugzwang bringen könnten, ist absurd. Die Geschichte beweist das Gegenteil. Die Gewinner von Armut und Migration sind immer die reichen und etablierten Eliten gewesen, aber nie die Armen und Migranten selbst. Von ihnen – den Schwächsten – zu erwarten, dass sie sich zu Subjekten für gesellschaftlich wünschenswerte Veränderungen machen, die wir selbst aus eigener Kraft nicht hinbekommen haben, ist anmaßend.

Was muss jetzt also stattdessen geschehen? Zuerst muss unser politisches Personal nachvollziehen, was große Teile unserer Gesellschaft längst begriffen haben: Sie müssen die Lebenswirklichkeit der flüchtenden Menschen erkennen und begreifen. Des weiteren brauchen wir finanziell und personell gut ausgestattete öffentliche Institutionen, die die dauerhaften Herausforderungen annehmen, die durch die flüchtenden Menschen gestellt werden und eben nicht von permanenten Freiwilligen bewältigt werden können. Damit das funktionieren kann, braucht es nicht nur das Vertrauen, das die Autoren von uns fordern. Es braucht außerdem sehr viel Geld und sehr viel Zeit. Beides muss investiert werden, denn eins ist klar: Menschlichkeit ist „too big to fail“. MARC SCHLICHTHERLE,Bremen

Bevölkerung schützen

betr.: „Zivilgesellschaft fehlt“ zu „Erst Assad, dann IS“, Leserbrief, taz vom 3. 9. 15

Rüdiger Vehof vergisst, dass sich durch die permanente Bombardierung der Bevölkerung und durch Ausschalten oppositioneller Kräfte durch den syrischen Präsidenten erst gar keine Zivilgesellschaft bilden konnte und kann. Daher ist die Forderung von Kristin Helberg nur folgerichtig, die Bevölkerung Syriens vor Baschar al-Assads unausgesetzten Attacken zu schützen. Wäre dies rechtzeitig geschehen, hätte wohl die jetzige desolate Situation verhindert werden können.

HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel