Weniger Mitbestimmung als die Wirtschaft: Im Hochschulrat der TU München zwei Studierendenvertreter – und vier Unternehmensvertreter Foto: Andree Kaiser/Caro

Die Wirtschaft gibt Rat

Autonomie An mindestens 36 deutschen Hochschulen sind Wirtschaftsunternehmer Berater und Sponsoren in einem. Das zeigen neue Recherchen der taz. Wie verträgt sich diese Doppelrolle mit der Unabhängigkeit von Forschung und Lehre?

von Arne Semsrott

Das Angebot klingt verlockend: Für ein paar Euro im Jahr verspricht der Anbieter im Internet potentiellen Interessenten „die Gelegenheit, mit Gleichgesinnten in einen exklusiven Austausch zu treten“. Gemeinsam erweitere man die Vitalität und Vielfalt der Einrichtung. Auf Förderer warte ein „einzigartiger Zugang“ und ein „exklusiver Klub“.

Der Werbeprospekt eines Unternehmens? Im Gegenteil: Hier sucht die Hochschule Pforzheim nach Förderern. Wer die Hochschule fünf Jahre lang unterstützt, darf Mitglied im „Rektors Club“ werden. Damit verbunden ist das Versprechen auf „informelle Gespräche“ und „fachlichen Austausch“. Das Angebot scheint für Unternehmer atrraktiv zu sein: Neben Daimler und Ernst & Young ist auch die Firma Witzenmann im Rektors Club vertreten. Das Pforzheimer Unternehmen hat aber noch einen weiteren exklusiven Zugang zur Hochschule: Sein Geschäftsführer ist Mitglied im Hochschulrat.

Entscheidende Stimme

Mit Einführung der Hochschulräte in den 1990er Jahren hat sich die Hochschullandschaft in Deutschland stark verändert. Bis auf Bremen entscheiden heute in allen Bundesländern externe Berater, die überwiegend nicht aus der Wissenschaft sind, über die Hochschulpolitik mit. Witzenmann hat wie alle baden-württembergischen Hochschulräte weitgehende Einflussmöglichkeiten. Auf Entwicklungspläne, Bauvorhaben, die Rektorenwahl sowie die Gründung von Unternehmen an der Hochschule.

Wie eine Recherche von taz und Correct!v zeigt, kommt ein Viertel aller Hochschulratsmitglieder in Deutschland aus der Wirtschaft. In Bayern und Baden-Württemberg sind es etwa ein Drittel. Fast die Hälfte aller Hochschulratsvorsitzenden, 65 von 135, arbeitet für ein Unternehmen oder einen Industrieverband. Fachhochschulen, deren Studienangebot sich stark an der Industrie orientiert, greifen stärker auf Unternehmen zurück: Hier ist fast jeder Dritte aus der Wirtschaft. An Universitäten sind es etwa 20 Prozent. Die Gewerkschaften tauchen hingegen kaum in der Statistik auf. 454 Vertretern aus Unternehmen stehen gerade einmal 19 Gewerkschafter gegenüber. Der Anteil der Studierenden in den Hochschulräten liegt bei bei vier Prozent. Nichtregierungsorganisationen sind in den Hochschulräten quasi nicht vertreten.

Führt das zu Interessenkonflikten? An der Uni Leipzig steht der Hochschulrat aktuell in Verdacht, die amtierende Rektorin aus parteipolitischen Gründen abgewählt zu haben. Doch nicht nur Hochschulräte, auch die Unternehmen stehen in der Kritik: Geben sie Geld an eine Hochschule und entscheiden gleichzeitig über die Einrichtung von neuen Studiengängen oder die Besetzung des Präsidiums, ist nicht mehr klar, in welcher Rolle sie agieren: als Unternehmensvertreter im Interesse ihres Arbeitgebers oder als ernannter Berater im Interesse der Hochschule?

Seit den 1980er Jahren werden Hochschulen wie Behörden in ganz Europa dem „New Public Management“ unterworfen, das staatliche Verwaltung zurückbauen und damit effizienter machen soll. Die Hochschulen akzeptierten in diesem Prozess ein leistungsorientiertes Finanzierungsmodell und durften selbstständig über die Mittelverwendung entscheiden, sofern sie wirtschaftlich damit umgingen. Dabei helfen sollten die Hochschulräte, die ähnlich wie Aufsichtsräte in Unternehmen die Leistungsbilanz der Hochschule prüfen.

Das Versprechen der Wirtschaftlichkeit lösen die Hochschulräte als Teil dieses Modells tatsächlich ein. Jedoch nicht unbedingt, weil sie die Unibilanzen optimieren würden, sondern weil sie sich auch aus Branchenvertretern zusammensetzen.

Große Firma, viele Sitze

Daimler beispielsweise sitzt in Süddeutschland in zehn Hochschulräten. Vertreter von Siemens sind Mitglieder in 14 Hochschulräten. Und auch Volkswagen regiert mit: Der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn war bis vor Kurzem mit der TU Braunschweig und der TU Dresden gleich an zwei Universitäten Hochschulrat. In manchen Ländern sind Hochschulräte ausschließlich hochschulexterne Personen, in anderen zum großen Teil.

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hipp­ler, hält Interessenkonflikte für unwahrscheinlich, solange Hochschulen autonomer werden und die Hochschulräte nicht in das operative Geschäft eingreifen: „Darüber hinaus stellen die Geschäftsordnungen der Hochschulräte sicher, dass Interessenkonflikte sich nicht auf die Arbeit des Gremiums auswirken: So sind die Mitglieder von Hochschulräten ausschließlich dem Interesse der Hochschule verpflichtet.“ Tatsächlich verlieren die Geschäftsordnungen von Hochschulräten, wie etwa die der Uni Frankfurt oder der Universität Bonn, über die Integrität ihrer Hochschulräte oft kein Wort. Andere Hochschulen geben solche Dokumente überhaupt nicht preis.

So stört niemanden, dass an der TU Braunschweig Vertreter von Volkswagen und der Salzgitter AG im Hochschulrat sitzen, während ihre Konzerne dort Stiftungsprofessuren finanzierten. An der Universität Köln, die für ihre geheime Forschungskooperation mit Bayer in der Kritik steht, ist der Hochschulratsvorsitzende ehemaliges Vorstandsmitglied von Bayer und zukünftiger Aufsichtsratsvorsitzender der Bayer Material Science AG. Die HUK Coburg hat eine Stiftungsprofessur für Versicherungsbetriebslehre an der Hochschule Coburg und ist auch im Hochschulrat vertreten. Alle acht Hochschulratsmitglieder aus der Wirtschaft an der Hochschule Kempten sind gleichzeitig Förderer der Hochschule. Nach den meisten Unternehmen sind Hörsäle benannt. An mindestens 36 deutschen Hochschulen entscheiden Unternehmen über die Weiterentwicklungen jener Einrichtungen, zu denen sie Kooperations- oder Sponsoringverträge unterhalten.

So wie an der TU München. Die finanzstarke Uni gilt als Paradebeispiel für gute Beziehungen zwischen Hochschulen und Wirtschaft. Das lässt sich auch am Hochschulrat erkennen: Ein Mitglied ist die BMW-Hauptaktionärin Susanne Klatten, die an der TU die Susanne-Klatten-Stiftungsprofessur für Bildungsforschung gegründet hat. 10 Millionen Euro zahlt sie über zehn Jahre an die Hochschule. Neben der Privatperson Klatten unterhält auch das Unternehmen SGL mit der Sparte SGL Carbon einen Stiftungslehrstuhl an der TU. Aufsichtsratsvorsitzende und Hauptaktionärin von SGL: Susanne Klatten. Neben der BMW-Aktionärin Klatten ist der Automobilhersteller noch mit seinem Aufsichtsratsvorsitzenden im Hochschulrat vertreten.

Die Zusammensetzung der Hochschulräte wird in den Hochschulgesetzender 16 Bundesländer geregelt, die sich teils stark unterscheiden. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg fassten im vergangenen Jahr ihre Hochschulgesetze neu. Dabei gab es heftige Debatten über eine Rücknahme der Kompetenzen von Hochschulräten.

Für die Recherche wurden die Websites von 183 öffentlichen Hochschulen analysiert und mit dem Portal Hochschulwatch verknüpft, das die taz, Transparency Deutschland und der Studierendenverband fzs betreiben. In einigen Fällen lagen keine Daten über den Vorsitz vor. Die Auswertung entspricht dem Stand von August 2015. Mehr Informationen:

www.hochschulwatch.de

Der Einfluss der Unternehmen betrifft die Hochschulpolitik aber noch auf andere Weise: Er schwächt die demokratisch gewählten Hochschulgremien wie den Senat, in dem Studentenvertreter und Beschäftigte die Belange ihrer Hochschule mitbestimmen. Da die Sitzungen von Hochschulräten in der Regel nicht öffentlich und Protokolle kaum einsehbar sind, erfahren sie oft erst im Nach­hinein von den Beschlüssen der Räte.

Daran ändere auch nichts, dass mal ein Student im Hochschulrat sitzt, sagt Jonas-Luca König, Koordinator der Landes-Asten-Konferenz in Rheinland-Pfalz: „In den allermeisten Hochschulräten fehlt der wissenschaftliche Mittelbau.“ Wer welchen Einfluss auf Entscheidungen nehme, sei nicht nachvollziehbar. „Dass sich in den Hochschulräten einige Mitglieder wiederfinden, die auch ihre Partikularinteressen vertreten, ist eine Katastrophe.“

Hochschulräte haben aber auch Befürworter. Etwa das „­Forum Hochschulräte“, das unter anderem vom wirtschaftsnahen Stifterverband der deutschen Wissenschaft und dem von der Bertelsmann-Stiftung gegründeten Centrum für ­Hochschulentwicklung gefördert wird. Ein Positionspapier fordert „größtmögliche Transparenz“. Damit sind aber keine öffentlichen Hochschulratssitzungen gemeint. Durch sie, warnt dasselbe Papier, könnte eine „offene Meinungsaussprache“ beeinträchtigt werden.

Beschlüsse vorab

Unterstützung bekommt das Forum auch von der Hochschulrektorenkonferenz, die lange für die Einführung von Hochschulräten lobbyiert hatte. Als Mittler zwischen den einzelnen Gremien fällt den Hochschulrektoren in dem neuen System eine Schlüsselposition zu. Auch Asten-Sprecher Jonas-Luca König beobachtet dies: „Bei Sitzungen der Hochschulräte merken wir oft, dass Beschlüsse schon im Vorhinein abgesprochen und dann nur noch abgenickt werden.“

Kein unwahrscheinliches Szenario, zumal Hochschulräte selten über eigene Sekretariate verfügen und deswegen allein für ihre Organisation eng mit den Rektoraten zusammenarbeiten. Dabei können sich zwischen Rektoren und Hochschulräten „informelle Gespräche“ entspinnen, etwa über die kommende Hochschulratssitzung. Exklusiver kann auch der „Rektors Club“ nicht sein.

Arne Semsrott betreut für Transparency Deutschland das Portal Hochschulwatch. Die Recherche wurde über die crowdfunding.correctiv.org finanziert, die das gemeinnützige Recherchezentrum Correct!v betreibt.