Jukebox - Der musikalische Aszendent

Ohne den Sänger gibt es auch keinen Song

Der Mensch braucht Ansprache. Wirklich zuhören aber, will er eigentlich nicht.

Oder sagen wir es mal mit einem idyllischen Bild: Da ist die Mutter, die ihr Kind in den Schlaf singt. Die gleiche Arbeit, nur am Klavier verrichtet, funktioniert nicht so recht. Es ist die Stimme. Und das berührt gleich das wesentliche Prinzip von Popmusik. Wer seine musikalische Sozialisation am Radio erfahren hat, will Musik sowieso immer gleich als die Einheit von Gesang und Begleitung hören. Pop ist das Lied, und ohne den Sänger gibt es auch keinen Song. Man muss die Hitparaden der vergangenen Jahrzehnte schon genau durchforsten, um da auf den vorderen Rängen mal auf einen Titel ohne Gesang zu stoßen. Instrumentalmusik ist ein Minoritätenprogramm (wie der Jazz, der sich auch erst dazu entschieden hat: Als den Jazzbands noch Sängerinnen wie Billie Holiday vorstanden, hörten noch mehr Menschen zu). Dagegen spricht überhaupt nicht, dass zum Beispiel in den Sechzigern tonnenweise Platten mit Instrumentalmusik produziert wurden. Weil die gar nicht als Musik zum Hinhören gemacht wurde, und dafür muss man kurz bei den grundsätzlichen Arbeitsanweisungen von Muzak vorbeischauen, diesem Konzern für Berieselungsmusik, wie man sie zum Beispiel in Kaufhäusern hört/nicht hört.

Da will man die Wiedererkennbarkeit von Musik, ohne dass die (Nicht-)Hörer aber groß darüber nachdenken müssen. Vor allem aber soll die Emotionalität der Stücke heftig nach unten gedimmt sein, und deswegen gibt es bei Muzak-Musik auch nie Gesang. Weil die menschliche Stimme immer schon emotionale Ansprache schafft. Die Stimme übrigens. Und nicht die Texte.

Deswegen wird auf diesen Happy-Sound-Hintergrundmusikplatten nie gesungen, und damit werden den hier verwerteten gerade einschlägigen Hits alle emotionalen Zähne gezogen (schön sind natürlich immer die Easy-Listening-Versionen von Dylan-Liedern wie „Like a Rolling Stone“, auch auf der James-Last-Platte nebenan zu finden). Tatsächlich muss man sich in den Weiten der Popmusik länger umschauen, bis man eine Band findet, die von vornherein gar nicht an die Stimme gedacht hat und die einen trotzdem berührt. Wie The Dirty Three. Weil das Musik ist, die einen angeht. Das mag daran liegen, dass bei dem australischen Trio der Job, den ansonsten die Stimme macht, von einer Geige übernommen wurde. Am, Sonntag spielt es im Mudd-Club. Musik mit Ansprache, ohne dabei auf lästige Texte hören zu müssen. THOMAS MAUCH