„Weine wie Cremetorte“

Berliner Händler setzen im Verbund auf „nicht kitschige“ Weine. Denn das meiste, was heute im Angebot ist, sei viel zu süß. Weinbund trifft sich zur jährlichen Präsentation

Wer versucht, die Globalisierung des Weingeschmacks zu erklären, muss beim Zuckerverbrauch anfangen. Das zumindest meint Andreas Schiechel von der Charlottenburger Weinhandlung Vinum und konkretisiert: „Vor hundert Jahren nahm ein US-Amerikaner pro Jahr 20 Kilogramm Zucker zu sich, heute sind es 80 Kilo.“ Die Folge: Der Verbraucher gewöhnt sich an immer süßere Speisen und Getränke und erwartet daher auch, dass der Wein immer süßer wird. „Viele Weine schmecken heute wie Cremetorte, es sind Kitsch-Weine“, sagt Weinhändler Schiechel.

Um gegen diesen Trend anzugehen, haben sich 1999 neun Berliner Weinhändler zum „Weinbund“ zusammengeschlossen. Inzwischen sind es zwei mehr geworden, zuletzt hat sich Anfang des Jahres der spanische Laden Vinos y Tapas angeschlossen. Bei einer jährlichen Präsentation sowie einem sommerlichen Weinseminar werben die Händler für das, was ihrer Meinung nach einen „nicht kitschigen“ Wein ausmacht: Tradition, Terroir und Typizität.

Die diesjährige Präsentation findet am Sonntagnachmittag im Palais am Festungsgraben statt. Wobei der Weinbund diesmal ein kleines Wagnis eingeht. Denn ein Teil der Veranstaltung widmet sich ausdrücklich den Weinen aus dem Bordeaux: einer Weinbauregion, die für viele noch immer die beste der Welt ist, die inzwischen aber in einer der tiefsten Krise ihrer Existenz steckt. Und dies hat vor allem mit der Globalisierung zu tun.

Seit Ende der 90er-Jahre ist der Preis für ein Fass Bordeaux-Wein von 1.500 Euro auf 700 Euro gefallen, hunderte Winzer stehen vor dem Konkurs, Rebstöcke werden vernichtet, Wein zu Weinbrand verarbeitet. Gründe dafür gibt es viele: die Überproduktion und die zu hohen Preise, aber auch ein deutlicher Rückgang des Weinkonsums in Frankreich – von 126 Litern im Jahre 1960 auf nur noch 50 Liter. Und wenn die Franzosen dann doch mal Wein kaufen, greifen sie immer öfter zu den billigen Importen aus Übersee.

Daher taucht nun auch im Bordeaux die Forderung nach so genannten Markenweinen auf, Weinen also, die in großen Mengen hergestellt werden, daher fast überall zu kaufen sind und einfache Orientierung im komplizierten System von über 50 Bordeaux-Appellationen erlauben sollen. „Wein“, so sagt etwa Michel Rolland, einer der führenden Weinmacher der Region, „Wein muss einfach sein.“ Für Rolland geht der „Geschmack weg von Weinen, die streng sind, hin zu runden, konzentrierten und sinnlichen Weinen“. Weinhändler Schiechel würde sagen: „Kitsch-Weinen“.

Die Mitglieder des Weinbundes halten es eher mit Jean-Noël Boidron von der Uni Bordeaux, der einmal sagte: „Nicht alle Bordeaux sind konzentriert, aber alle sind ausbalanciert.“ Was so viel heißt wie: Ein guter Bordeaux ist vielfältig. Er hat Kraft, aber auch Eleganz und Leichtigkeit. Und ist eben nicht süß. Für die Berliner Weinhändler gibt es immerhin Anlass zu hoffen: In Deutschland liegt der Zuckerverbrauch bei 35 Kilogramm pro Jahr und damit deutlich unter dem in den USA. SABINE HERRE