Portrait
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Nimmt Ärger in Kauf: Inge Bultschnieder Foto: privat

Die Couragierte

Es begann mit einem Zufall: im September 2012 lernt Inge Bultschnieder bei einem Krankenhausaufenthalt ihre Bettnachbarin Katya kennen. Bultschnieder lebt in der Kleinstadt Rheda-Wiedenbrück in Ostwestfalen und betreibt einen Bäckerei-Stand auf dem Wochenmarkt. Die Stadt ist Sitz von Tönnies, dem größten fleischverarbeitenden Betrieb Europas.

„Ich dachte mir, das könnte eine Werksarbeiterin von Tönnies sein“, erzählt sie. Denn unter ihrem Bett lagen Plastikschuhe und eine weiße Arbeitshose mit Blutflecken. „Katya sah fürchterlich aus, sie war dünn und blass.“ Sie selbst kann ein bisschen Mazedonisch, ihre bulgarische Bettnachbarin ein bisschen Deutsch. So kam es zu einem Gespräch über die prekären Arbeitsbedingungen bei der Fleischerei. „Das war der Punkt, an dem ich gemerkt habe, dass sich etwas ändern muss“, sagt Bultschnieder.

Sie wandte sich an den WDR, weil sie dort eine Dokumentation über die Arbeitsbedingungen bei Amazon gesehen hatte. Mit einer Reaktion rechnete sie zunächst gar nicht: „Ich habe bei dem Rückruf gedacht: Oh Gott, jetzt meldet sich ja wirklich jemand.“ Durch den WDR-Beitrag über Tönnies wurde das Thema Stadtgespräch. Bultschnieder gründete mit Gleichgesinnten die „IG Werkfairträge“, die die WerksarbeiterInnen berät und über die Missstände informiert.

Das sorgt durchaus für Gegenwind: „Ich habe immer gesagt: wir spalten eine Stadt“, meint die 43-Jährige. Der Fleischbetrieb ist einer der wichtigsten Arbeitgeber in Rheda-Wiedenbrück. „Für den Bürgermeister sind wir ein Haufen Krawallmacher.“ Davon lassen sich Bultschnieder und ihre MitstreiterInnen nicht abhalten. „Viele sind mit Scheuklappen an den Problemen vorbeigegangen“, sagt sie. „Das ist jetzt anders.“ Was der Initiative einen Preis für Zivilcourage und die Nominierung für den taz-Panter-Preis eingetragen hat. Fabio Kalla