Apocalypse Europe

ANALYSE Das Bremer Theater entwirft eine bildgewaltige, düstere Zukunftsvision von Europa: Demokratie, Aufklärung, Humanismus sind gescheitert und der Kapitalismus ist die moderne Form des Krieges

Europa ist tot. Aber es gibt auch keine Hoffnung mehr. Nur die Illusion, die wir Demokratie nennen und Freiheit und soziale Marktwirtschaft. Unser humanistisches Weltbild, es ist verlogen. Ist es da also nicht ehrlicher, sich ganz von ihm loszusagen?

Es ist eine düstere, eine depressive Endzeitvision von „Europa“, die Regisseur Mirko Borscht da im Kleinen Haus des Theater Bremen entwirft. Eine radikale, infernalische Apokalypse aus der nahen Zukunft, ein politisches Szenario, das verstört, verstören will, das einzig die Starre kennt – und keinen Ausweg, nirgendwo.

Dieses „Europa“ ist sehr weit weg von jenem in dem gleichnamigen Spielfilm des dänischen Regisseurs Lars von Trier von 1991. Dort folgt der Zuschauer dem einem Mann, der 1945 im zerstörten Deutschland Schlafwagenschaffner wird. Während einer Fahrt verliebt er sich in die Tochter des NS-belasteten Chefs der Bahnlinie Zentropa und wird Teil politischer Verstrickungen, an deren Ende er, verbittert über den Untertanengeist im Land, den Zug in die Luft sprengt. Und selbst stirbt.

Borschts Europa indes hat leider keine konsistente Handlung, nur Figuren, die etwas blass bleiben und die nicht recht zu einer Geschichte zusammenfinden. Da ist der chinesische Machthaber Gang Men Mao (nur eine Randfigur: Paul Matzke), da ist die depressive Patriarchin der Unternehmerfamilie Hartmann (gut: Irene Kleinschmidt) mit ihren beiden Söhnen (mit Schwächen: Alexander Swoboda & Matthieu Svetchine) und da ist der Leichnam des Propheten (wunderbar: Siegfried Maschek). Dazwischen irrt die Idealistin Alina Kessler (auch gut: Gabriele Möller-Lukasz) durch die diffusen Handlungsfetzen, in dem Versuch, all diese Figuren irgendwie zu einem Stück zusammenzuführen und in der trügerischen Hoffnung auf das Gute in der Welt oder wenigstens im Kapitalismus.

Inszeniert ist das Ganze als Prozessionstheater, das auch Johann Kresnik würdig gewesen wäre. Alles beginnt im Keller des Hauses mit einer willkürlichen Selektion der Menschen durch stumme chinesische Lakaien. Die Zuschauer, die anschließend in Käfige verfrachtet werden, ertragen es mit willfähriger Gleichmut und werden so ein Teil des Systems. Sie sitzen, wartend auf irgendwas, in einem Lager ein. Vielleicht ist es ein Ferien-, vielleicht ein Arbeits-, vielleicht aber auch ein Konzentrationslager. Irgendwann wird es aufgelöst in einem bizarren Spektakel mit Nicoles „Ein bisschen Frieden“, doch de facto ändert sich nichts.

„Und auch wenn wir vielleicht keinen Krieg im klassischen Sinne führen – ist unser Wirtschaftssystem nicht eine Form des Krieges, die anders als früher eben keine Waffen mehr benötigt?“ fragt Borscht. Eine rhetorische Frage, freilich. „Es geht da genauso um Machtverhältnisse, um das Absichern von Ressourcen.“ Und weiter: „Spielen meine eigenen Überzeugungen da überhaupt eine Rolle?“ Nein, jedenfalls nicht in diesem Europa. Denn die Lust an der aggressiven Anklage schließt das Theater selbst nicht aus: Der Kritiker des Systems, er stabilisiert es am Ende nur, indem er ihm noch ein Feigenblatt der Freiheit anbietet.

Der Faschismus, hier ist er „Feindbild und Utopie“. Die soziale Marktwirtschaft: Macht der Demokratie den Garaus. Das Ende des real existierenden Sozialismus: Der Ersatz von „Freiheit durch Freiheit“. Die Aufklärung ist gescheitert, es bleibt keine Idee mehr, für die es sich zu kämpfen lohnt. Das ist die Botschaft am Ende dieses „Europa“. Eine radikale These, die in einen bildgewaltigen Untergang mündet.  Jan Zier

Wieder am 22., 31. Januar, 20 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus