Fragen eines dummen Soldaten

OPER Es reicht nicht, im Theater die richtige Meinung zu haben: „Der Kuhhandel“ ist eine Operette von Kurt Weill und Robert Vambery, die nie fertig wurde. Die Komische Oper stellt sie vor

Der Soldat Juan Santos kann nicht schlafen in der Nacht vor der Schlacht da draußen in den Sümpfen. Er ist ein wenig dumm, die Melodie eines Leierkastens fällt ihm ein und er singt vor sich hin: „Ich habe eine Kuh gehabt, ich hab die Kuh nicht mehr. Ich hab dafür, Gott helfe mir, jetzt ein Maschinengewehr.“ Er hält inne und stellt dann seine zwei Fragen: „Wem hat vorher das Maschinengewehr gehört? Und wem gehört jetzt die Kuh?“

Diesen Text hat Robert Vambery 1934 in Paris geschrieben, ein ungarischer Emigrant, der auch mal am Theater am Schiffbauer Damm gearbeitet hatte. Die Musik stammt von Kurt Weill, auch einem Emigranten, aber sehr viel berühmter, weil er mit „Mahagonny“ und der „Dreigroschenoper“ nach Texten von Bertolt Brecht im Gepäck in Paris angekommen war.

Ein Jahr später hat Brecht in seinem dänischen Exil die noch viel berühmteren „Fragen eines lesenden Arbeiters“ geschrieben. Um die Radikalität der Fragen des Soldaten Juan Santos zu begreifen, muss man sich Brechts Gedicht in Erinnerung rufen: „Wer baute das siebentorige Theben?“ Na, wer wohl?

Die Antwort steht fest für alle Zeiten, so sehr, dass die heutige Linkspartei den Text als Präambel ihrem Parteiprogramm vorangestellt hat. Wem aber hat vorher das Maschinengewehr gehört, wem gehört jetzt die Kuh? Jeder Versuch, darauf eine Antwort zu geben, führt als Erstes zur Erkenntnis, worin der Unterschied zwischen Propaganda und Politik besteht, im Theater ebenso wie in der Wirklichkeit.

Die Nachrichten berichten, dass nun auch der Präsident des Deutschen Bundestages meint, Deutschland müsse Soldaten nach Mali schicken, um dort gegen die Islamisten Krieg zu führen. Man muss ihm wie jedem anderen Politiker die Fragen des Soldaten Juan Santos vorlegen und darauf bestehen, dass sie beantwortet werden – nicht mit Ausflüchten, sondern unter Eid. Juan Santos kann das nicht, Politiker müssen es können, wenn sie wissen, was sie tun.

Davon und nicht weniger handelt das Stück „Der Kuhhandel“, das eine Operette werden sollte, aber nie fertiggestellt worden ist. Lediglich eine Version mit einem anderen, dem britischen Geschmack angepassten Libretto ist in England aufgeführt worden – und durchgefallen. Vambery hat nach Weills Tod seinen Text noch einmal überarbeitet, und erst 1994 ist eine rekonstruierte Fassung der Partiturfragmente in Bautzen aufgeführt worden.

Nun hat die Komische Oper diese Rekonstruktion ebenfalls einstudiert, jedoch nicht den Mut zu einer Inszenierung gehabt. Dazu fehlte das Geld, heißt es, was zweifellos wahr, aber trotzdem schade ist. Weill gab sein Bestes, schrieb Songs, Ensembles und Chöre mit großer Orchesterbegleitung, die es schaffen, gleichzeitig unglaublich subtil, geradezu bösartig satirisch, anrührend und volkstümlich zu sein.

Man lacht von Herzen und ist dabei mitten in einem politischen und ästhetischen Diskurs, der weit über alles hinausgeht, was sich der Lyriker Brecht vorstellen konnte. Es reicht nämlich nicht, im Theater die richtige Meinung zu haben, meinen Weill und Vambery und lassen in ihrem Finale den General mit der selben Musik den Frieden preisen, mit der er zuvor zum Krieg gerufen hat. Juan Santos kriegt seine Juanita, weil wir nicht im Lehrstück, sondern in der Operette sind, die hier einen ihrer politischen Höhepunkte gefunden hat.

Hätte, wenn sie inszeniert worden wäre. Aber der geniale Schauspieler Max Hopp macht in der Doppelrolle des Waffenhändlers und Conferenciers den Mangel beinahe vergessen. Ein Jammer, dass es davon nur noch eine einzige Vorstellung zu sehen gibt. NIKLAUS HABLÜTZEL

■ Noch einmal morgen, Dienstag, 19.30 Uhr, Komische Oper Berlin, Behrenstraße 55–57