piwik no script img

Horror ganz nah am Hier und Jetzt

NACHRUFDas Kino der Gewalt verstand er nicht als burleske Jahrmarktsattraktion, sondern als gesellschaftlichen Echoraum. Wes Craven, einer der großen Modernisierer des Horrorkinos, ist verstorben

In seinen besten Filmen trieb Craven das Genre der Angst stets voran, dachte es neu, stülpte es verblüffend um Foto: Robyn Twomey/Redux/laif

von Thomas Groh

„Um nicht in Ohnmacht zu fallen, wiederholen Sie stets: Es ist bloß ein Film!“ Ein Film allerdings, der sich gewaschen hat und auf grobkörnigem 16-mm-Material alle Register zieht, um dem Horrorkino die Gemütlichkeit künstlicher Dekors gründlich auszutreiben. Wohl auch deshalb musste „Das letzte Haus links“ (1972), ein bis heute beherzt an den Nervenenden des Publikums zerrendes Stück Kino, mit solchen Werbesprüchen auf Distanz gebracht werden. Viel geholfen hat es zumindest hierzulande nicht: Seit Jahren befindet sich der Film im Giftschrank der Amtsgerichte. Wo der Schrecken zu real wird, zücken Staatsanwälte gerne den Beschlagnahmebeschluss.

Der Regisseur dieses von der deutschen Zensur geadelten Meisterwerks heißt Wes Craven. In seiner offiziellen Filmografie steht es an erster Stelle. Die zuvor unter Pseudonym gedrehten Pornos zählen nicht zum Werkskanon, bilden aber die Lehrjahre dieses stets betont kultiviert auftretenden Elder Statesman of Horror: Ohne den grob-materiellen Realismus des Pornos, ohne dessen strategischen Distanzverlust wäre „Das letzte Haus links“, ein loses Remake von Ingmar Bergmans „Jungfrauenquelle“, kaum denkbar.

Mehr als George Romero zuvor mit „Night of the Living Dead“ verortete Craven den Horror ganz nah am Hier und Jetzt und holte das angestaubte Genre damit wieder an den Puls der Zeit: Der Vietnamkrieg, die Attentate auf Kennedy und Martin Luther King, die blutige Niederschlagung der sich ihrerseits radikalisierenden Bürgerrechts- und Studentenbewegungen bilden das sozio­his­torische Hintergrundrauschen, das sich allabendlich via 16 mm, dem gängigen Material der TV-Nachrichten, auf den heimischen Bildschirmen konkretisierte und es den jungen Leuten dämmern ließ, dass an der Sache mit dem Menschen, der dem Mensch ein Wolf ist, akut was dran ist. Dieser profunden Verstörung seiner Generation verlieh Craven adäquaten Ausdruck: Das Kino der Gewalt verstand er nicht als burleske Jahrmarktsattraktion, sondern als gesellschaftlichen Echoraum.

Vorsicht vor den Träumen: Freddy Krueger kommt Foto: imago

Mit Romero und David Cronenberg bildet Craven so etwas wie das intellektuelle, linksliberale Triumvirat des nordamerikanischen Horrorfilms. Gemeinsam modernisierten und entrümpelten sie das Horrorkino, luden es neu auf und machten es damit wieder brauchbar als Echolot. Von ihrer Pionierarbeit zehrt das Genre bis heute.

Pornofilme, Splatterfilme – intellektuell? Was in Old Europe als unwahrscheinlich gilt, wird bei Craven zum Ausweis einer großartig amerikanischen Biografie: Aufgewachsen in einer religiösen Familie, schlug der 1939 in Ohio geborene, junge Mann zunächst den klassisch humanistischen Bildungsweg ein und arbeitete nach einem Philosophiestudium als Dozent, bevor er die Universität verließ und sich über den Umweg des Bahnhofskinos gen Hollywood aufmachte. Der akademische Betrieb hat ihm längst verziehen: Die seit den 90er Jahren entstehenden „Horror Studies“ widmen sich dem verlorenen Sohn mit besonderer Vorliebe.

Was daran liegt, dass Craven es mit der Modernisierung des Horrorfilms in den 70er Jahren nicht auf sich bewenden ließ. Als nach „Halloween“ alle Welt Slasherfilme mit maskierten Häschern drehte, schenkte er dem Horrorkino 1984 mit dem Klingenhandschuh-Serienkiller Freddy Krueger aus „Nightmare“ einen seiner populärsten Mythen und lud das gerade rea­listisch gewordene Genre wieder phantasmatisch auf: Anders als seine diesseitigen Kollegen ging der von Brandmalen entstellte Krueger seinen jugendlichen Opfern in deren Träumen nach. Aus handfesten Gründen: Krueger ist das dunkle Geheimnis der schweigenden Elterngeneration, die den einstigen Schulhausmeister einst eigenhändig in den Ofen geschoben hatte.

Die Ahnung, dass Krueger sich an Schulkindern vergangen hat und seine Dämonie sich somit auch als Konkretion kindlicher Traumatisierungen deuten lässt, buchstabierte das missratene Remake von Samuel Bayer (2010) kleinteilig aus. ­Craven vertraute noch auf die Intelligenz des Publikums, das den Film auch als Allegorie auf die weltvergessen hedonistischen 80er deuten konnte, die sich der Schrecken der 70er Jahre bewusst werden. Anders als das reaktionäre Segment des Horrorfilms wühlte Craven immer auch auf der eigenen Seite nach den Wurzeln des Schreckens.

Vorsicht vor dem Telefon: Ghostface ruft an Foto: imago

Krueger ging derweil zu Cravens Missfallen als notorisch unaustreibbares Gespenst in Serie – unter der Regie anderer. Cravens Rückkehr zum Franchise im Jahr 1994 ist deshalb auch als zornige Negation zu verstehen: nicht als immanente Fortsetzung angelegt, sondern als fiktive Meditation darüber, wie Freddy Cast und Crew des ersten Teils heimsucht. „Freddy’s New Nightmare“ (1994) aktualisiert die romantische Fantasie, dass fiktionale Geschöpfe ihren Schöpfern tatsächlich entgegentreten. Zugleich dient der Film als Vorstudie zur „Scream“-­Reihe, Cravens vielleicht wichtigster Hinterlassenschaft, einer wütende Abrechnung mit dem Slasherfilm, die das Genre zugleich auf die Ebene postmoderner Reflexion hebt: Die Regeln und Mythen des Genres selbst sind es, die hier in konkreter Aussprache der Figuren bewusst gemacht und in selbstkannibalistischer Manier verhandelt werden: Wiederholung und Differenz, die Welt als Wiederkehr des Immergleichen – nur eben als Zitat eines Zitats.

Große Kunst entsteht dort, wo sich Künstler reflexiv zu ihrem Feld verhalten, darin eine eigene Position finden und behaupten. In seinen besten Filmen trieb Craven das Genre der Angst stets voran, dachte es neu, stülpte es verblüffend um. Am Sonntag erlag der intellektuelle Horror-Hexenmeister einem Hirntumor. Im Kino könnte man auf eine Rückkehr hoffen. Am Ende ist es eben doch nicht bloß ein Film.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen