Vergessen Wie gehe ich damit um, wenn meine Mutter sich nicht an mich erinnert? Mein Ehemann mich für den Bruder hält? Menschen, aus deren Familie jemand an Demenz erkrankt ist, erzählen
: „Was ist aus meinem Baby geworden?“

Foto: Maja Daniels

Mein Vater hat seit Jahren Alzheimer. Er lebt im Heim und erkennt uns schon lange nicht mehr. Zu meiner Mutter – seiner Frau – sagt er meistens Hansjürgen. Das war sein Bruder. Als ich mich neulich mit den Worten „Tschüss, mein lieber Papa“ von ihm verabschiedete, sagte er spontan: „Tschüss, meine liebe Tochter“. Ich war zu Tränen gerührt. Es gibt viel Traurigkeit. Hoffnung oder Genesung kann man ausschließen. Aber es gibt auch schöne Momente. Wenn man für ein paar Sekunden wieder Tochter ist oder angelächelt wird, weil der Vater glücklich ist, ist man es auch.Gudula Roch, 54, lebt in Düsseldorf. Sie hat uns ihre Erfahrungen per E-mail gesendet

Es ist der erste Besuch bei Oma seit Langem, mein Freund begleitet mich. Es ist warm im Zimmer. Heizungsluft. Ich frage: „Oma, hast du Durst?“, und halte die Schnabeltasse hoch. „Ja, es wird mir zu ruhig“, sagt sie. „Oma, willst du etwas trinken?“ – „Ja. Aber mager.“ Ich gebe ihr das Wasser in die Hand. Sie trinkt. Schaut uns an. Mustert mich von Kopf bis Fuß. Dann sagt sie: „So ein schönes Mädchen. Du isst wohl auch gerne Rouladen?“ Mein Freund kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Hat sie mir gerade gesagt, dass ich zugenommen habe?“, frage ich ihn. „Ich glaube schon“, sagt er. Wir lachen. Großmutter lacht mit uns. Dieses gemeinsame Lachen ist wie eine Befreiung. Auf einmal ist es nicht mehr wichtig, dass sie irgendwann, schon bald, mich nicht mehr erkennen wird. Wir haben einen guten Moment zusammen.

Nadine Ahr, 33, lebt in Berlin. Sie ist Autorin des Buchs „Das Versprechen – Ria und Edwin. Eine Liebe, die durch Demenz zerstört wurde“

Vor ein paar Jahren besuche ich meine neunzigjährige Oma im Pflegeheim. Sie druckst herum und fragt dann, ob sie mich mal was fragen kann. „Weißt du“, sagt sie, „mir ist wieder eingefallen, ich hatte doch ein Baby, eine kleine Tochter. Was ist eigentlich aus der geworden?“ Vorsichtig erkläre ich ihr, dass die ältere Dame, die sie jeden Tag besucht, meine Mutter und eben diese Tochter sei. Sie denkt eine Weile nach. Dann stutzt sie und sagt: „Hol mir mal einen Spiegel!“ Im Bad findet sich ein Handspiegel. Sie blickt hinein und fängt an zu lachen. „Jetzt guck dir das an!“, sagt sie. „So ‘ne alte Schachtel!“

Petra Sonne-Neubacher, 49, aus Preetz hat uns auf Facebook geschrieben

Ich weiß, tröstliche Geschichten über die Demenz, die nicht allein Leid bedeuten, haben Konjunktur und füllen mittlerweile Sammelbände. Die Bilder, die mir im Rückblick auf die Krankheit meines vor gut zwei Jahren verstorbenen Vaters blieben, aber sind düster und traurig. Der für mich schrecklichste Moment, der mir die Unumkehrbarkeit seines Zustands offenbarte: Mein Vater stand im Herbst 2006 vor dem Porträt, das bei uns im Wohnzimmer hing, schaute seinem Hausheiligen Theodor Fontane, seinem Bruder im Geiste, dessen Werk ihm einst Konfession war, ins Gesicht, knuffte mich und fragte, sichtlich verzweifelt. „Tilman, wer war das noch mal?“ Die Zeit, die nun folgte, vor allem aber sein Dasein in seinen letzten drei Jahren, war elend und lässt sich nicht rührselig verklären. Er hat unendlich gelitten und wurde doch, gegen den Geist seiner Patientenverfügung, mit allen Mitteln am Leben gehalten. Seinen Frieden hat er, da bin ich sicher, erst wiedergefunden, als ihn, in der Früh des 10. Juni 2013, die Bestatter im blauen Leichensack aus dem Sterbezimmer holten.

Tilman Jens, 60, lebt in Frankfurt am Main. In seinem Buch „Demenz. Abschied von meinem Vater“ beschäftigt er sich mit der Erkrankung seines Vaters Walter Jens

Als ich meiner Mutter erzählte, dass ihr Mann – mein Stiefvater – nach längerer Krankheit verstorben war, weinte sie bitterliche Tränen. Dann sah sie sehr still eine Viertelstunde lang aus dem Fenster. Plötzlich schallte der alte Schlager von Wencke Myhre aus dem Radio: „Schön ist es auf der Welt zu sein, sagt der Igel zu dem Stachelschwein“ – und meine Mutter sang fröhlich und laut mit. Ich möchte die Krankheit nicht haben, aber sie macht mir auch keine Angst mehr.Ingrid Deiters, 68, aus Celle hat uns eine E-mail geschrieben