Epizentrum der Eventkultur

Gesamtkunstwerk All den Massenveranstaltungen rund um St. Pauli wollen drei Hamburger Künstler ein achtstündiges Megaspektakel der Kunstszene entgegenhalten

Keine Sorge, der nächste kommt bestimmt: Und wenn es nicht der Dom ist, ist es halt ein anderes Event. Foto: dpa

von Katrin Ullmann

„Hamburg welcomes you on board“, begrüßt die Website der Hamburg Marketing GmbH zurzeit ihre Besucher. Und wirbt für die bald drohenden Cruise Days: „Exklusive maritime Pauschalen, Begleitfahrten bei den Paraden und eine einmalige Besichtigungstour durch den Hafen“ werden dann geboten. Und wen das noch nicht in die Elbmetropole lockt, den verzaubert mit Sicherheit die vermutlich unfassbar magische Begleit­erscheinung „Blue Port“.

Noch immer nicht überzeugt? Wie wäre es mit einem Besuch in einem der flirrenden Musicaltheater? Oder vielleicht lieber ein Rundgang über den Dom? Leider schon abgebaut? Keine Sorge, der nächste Dom kommt bestimmt. Genauso wie die nächsten Harley Days, das nächste Alstervergnügen, der nächste Schlagermove, die nächsten Cyclassics, das nächste Kreuzfahrtschiff, das nächste Feuerwerk, das nächste Musicaltheater und der nächste Hafengeburtstag.

St. Pauli – scheinbar selbstverschuldet durch Rotlicht und Reeperbahn – ist das „Epizentrum“ all dieser Eventkultur. So bringen es die Hamburger Künstler Filomeno Fusco, Björn Salzer und Hartmut Gerbsch auf den Punkt. Den Massenveranstaltungen, die, neben ungeniert offenbar werdenden Körperflüssigkeiten, nicht mehr zurücklassen „als überquellende Müllcontainer und drückende Katerstimmung“, so Fusco, Salzer und Gerbsch, setzen die drei am heutigen Samstagabend ein „überbordendes Superevent“ entgegen.

Acht Stunden soll ihr „Supereventgesamtkunstwerk“ dauern, das sie unter dem Titel „08/15. Eine Stadt sucht den Anschluss“ in der Galerie Genscher am Park präsentieren. Die Galerie, deren Räumlichkeiten in der Marktstraße derzeit totsaniert werden, bespielt seit Ende vergangenen Jahres mit zwei aufeinander gestapelten Containern den Interimsort am südlichen Eingang der Wall­anlagen.

Es ist „ein Leuchtturmprojekt, das sich in unsere Herzen brennt“, heißt es im Pressetext der Künstler selbstironisch, eine „Unterhaltung vom Feinsten für die Stadt der Superlative“ und ein „audiovisuelles Feuerwerk der Emotionen“. Es ist die erste gemeinsame Arbeit der drei und sie verspricht, mit der Bespielung der Container sowie vier Rückprojektionsleinwänden für die Übertragung in den Außenbereich und der Mitwirkung von insgesamt 50 Performern, Aktivisten und Musikern tatsächlich ein exzessives Event zu werden.

„Eigentlich hatten wir zunächst an ein Musical mit Engtanzparty für 40 exklusive Gäste gedacht“, erinnert sich Filomeno Fusco an die Anfänge der Planung. „Als sich aber der Termin mehr und mehr in Richtung Sommer verschob“, fährt er fort, „dachten wir, wir überhöhen das Ganze, spielen mit diesen ganzen Superlativen der Stadt, toppen die Masse der Hamburger Events und schießen damit völlig übers Ziel hinaus.“ „Und“, ergänzt Harmut Gerbsch, „wir wollen mit dem Projekt auch die spezielle Raumsituation thematisieren.“ Und meint damit, dass sich die ausgelagerten Räumlichkeiten der Galerie Genscher im Augenblick eben direkt am Anfang der Reeperbahn, also an der Einflugschneise von Sankt Pauli befinden.

Es ist Kunst im öffentlichen Raum – im allerbesten Sinne. Mit den mitwirkenden Künstlern, Aktivisten und Musikern soll eine „Over the top“-Revue enstehen, eine Art „Riesencollage“, choreografiert und kuratiert von Fusco, Gerbsch und Salzer. „Als zentrale Vorführung“, sagt Salzer, „verwandelt sich die Music Hall in eine Jukebox, die ein Medley aus der Geräuschkulisse der ganzen Horrorveranstaltungen auf St. Pauli musikalisch abgefeuert, begleitet von einer Dia-Show.“ Außerdem werden etwa Frank Spilker von Die Sterne auftreten, Uwe Lewitzky, die Band Handlung sowie Mark Boombastik, drei geschmeidige „Cyber Cats“ und – das darf auf St. Pauli natürlich mitnichten fehlen! – ein gut gelaunter Bierbike-Chor.

Das darf dabeiauf St. Pauli nichtfehlen: ein gut gelaunter Bierbike-Chor

„Das Grundmuster ist“, erläutert Gerbsch den groben Ablauf: „eine Band im Container mit Außenübertragung, dann eine Performance draußen auf dem Dach und Vorplatz, dann wieder eine Aktion drinnen, die wieder nach außen übertragen wird.“ Jeder der einzelnen Beiträge sei dabei auf maximal 30 Minuten begrenzt.

Genauer ließe sich der Abend nicht planen, sagt er. Schließlich sei er Generalprobe, Premiere, Vernissage, Dernière und Finissage in einem. Ein – professionell moderierter – Abend voll heiterem Trash und kritischer Performance, voll Videos und Soundinstallationen, mit Event-Gastronomie und selbstverständlich magischen Lichteffekten.

„Es ist“, fasst Filomeno Fusco augenzwinkernd zusammen, „eine Decollage von St.-Pauli-Revue, Musikfestival und Kunstbiennale in einem: ein Mega-Spektakel der Hamburger Kunstszene und die erste Internationale Urinale.“

Sa, 29.8., ab 20 Uhr, Galerie Genscher am Park, Millerntorplatz 27–48