Der verspielte Sieg der SPD

SPD & GRÜNE Die SPD ist im Lagerwahlkampf nicht durchgedrungen. Die siegreichen Grünen schließen Schwarz-Grün kategorisch aus

„Das ist das historisch beste Ergebnis, das die Grünen jemals in Niedersachsen erreicht haben“

STEPHAN WENZEL, GRÜNEN-SPITZENKANDIDAT

AUS HANNOVER JAN KAHLCKE
UND MALTE KREUTZFELDT

Bis spät in den Abend blieb unklar, ob es dem Bündnis aus SPD und Grünen gelingt, den CDU-Ministerpräsidenten David McAllister abzulösen. Das liegt vor allem an der SPD, die laut Hochrechnungen nur gut 32 Prozent holte. Zu wenig, auch wenn die Grünen mit über 13 Prozent gegenüber 8 Prozent 2008 gewaltig zulegen.

Dabei hatte noch vor wenigen Wochen alles nach einem lockeren Sieg für Rot-Grün ausgesehen. Doch Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, eingeplant als Zugpferd für den Wahlkampf zwischen Harz und Nordsee, wurde zum Klotz am Bein. Spitzenkandidat Stephan Weil rutschte in seinem ersten Dank an die Genossen heraus: „Wir haben ja unter nicht ganz einfachen Bedingungen – insbesondere in den letzten Wochen – um Wählerstimmen gekämpft.“ Richtige „Bremsspuren“ hätten die Querelen um Steinbrück aber nicht hinterlassen.

Die Grünen lassen unterdessen keine Zweifel daran aufkommen, dass sie den Abend als Erfolg betrachten – unabhängig davon, ob der Regierungswechsel gelingt. „Wir feiern heute ein wunderbares Ergebnis“, rief Spitzenkandidat Stefan Wenzel seinen Parteifreunden euphorisch zu. „Ich bin stolz auf euch: Das ist das historisch beste Ergebnis, das die Grünen jemals in Niedersachsen erreicht haben“, kommentierte er die erste Hochrechnung.

Kritik an der schwächelnden SPD, Enttäuschung, dass es mit dem Ministeramt eventuell nichts wird? Fehlanzeige: „Es ist noch alles drin“, lautet sein Kommentar zum eventuellen Verpassen des Regierungswechsels. „Schwarz-Gelb hat deutlich verloren, Rot-Grün hat stark gewonnen, vor allem wegen der starken Grünen.“ Allenfalls am Rande, wo keine Mikrofone lauern, äußern sich die Grünen enttäuscht, dass der Vorsprung von Rot-Grün in den letzten Wochen dahingeschmolzen ist.

Die Ursachen: Der extrem kurze Wahlkampf von nicht einmal vier Wochen hat den bekannten und weithin auch beliebten Amtsinhaber David McAllister begünstigt, während SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil Mühe hatte, seinen Bekanntheitsgrad überhaupt über die 70-Prozent-Marke zu hieven. Er ist ein solider, etwas bieder wirkender Parteisoldat, weder jovial noch charismatisch, dem die Attacke wesensfremd ist. Deutlich zu sehen war das im TV-Duell der beiden Spitzenkandidaten: Obwohl bekannt ist, dass McAllister konkreten Sachfragen gern ausweicht und unter Druck versteinert, wirkte Weils Kuschel-Auftritt wie eine Bewerbung um die Nebenrolle in einer großen Koalition.

Rot-Grün hat einen klassischen Lagerwahlkampf betrieben. Beide Parteien haben sich früh auf ein Bündnis festgelegt, obwohl der grüne Spitzenkandidat Stefan Wenzel als Freund eines Bündnisses mit der Union galt, mit dem er auf kommunaler Ebene schon viel Erfahrung hat. Doch an seiner Absage an eine schwarz-grüne Koalition hielt Wenzel am Sonntag fest – auch für den Fall, dass es im Landtag aufgrund von Überhang- und Ausgleichmandaten zu einer geraden Sitzzahl und damit zu einem echten Patt kommt – was laut ZDF-Hochrechnung möglich war. „Wir haben gesagt, dass wir nicht als Steigbügelhalter für die Union zur Verfügung stehen“, sagte Wenzel. „Dabei bleibt es.“ Dann bliebe nur eine große Koalition.

Der SPD ist keine scharfe thematische Abgrenzung von der CDU gelungen. In vielen Fragen liegen die beiden großen Parteien nah beieinander. Und auf den echten Konfliktfeldern ist die SPD nicht richtig aus der Deckung gekommen: Sie hat es nicht geschafft, sich an die Spitze der Bewegung für mehr Gesamtschulen zu setzen, die die CDU aus ideologischen Gründen bekämpft. Und im Streit über den von der CDU forcierten Ausbau der Agrarindustrie hat die SPD es fast ganz den Grünen überlassen, für eine ökologische Agrarwende zu werben. Dafür hat Weil nun die Quittung bekommen: Er hat das zweitschlechteste Ergebnis der Niedersachsen-SPD nach den katastrophalen 30,3 Prozent geholt, mit denen Wolfgang Jüttner 2008 an Christian Wulff gescheitert war.