„Er ist ein Shakespeare-König“

GESTRAUCHELT Thomas Thieme spielt die Hauptrolle im Fernsehfilm „Uli Hoeneß – Der Patriarch“ und sieht Parallelen zu früheren Theaterrollen (20.15 Uhr, ZDF)

Thomas Thieme (r.) als Uli Hoeneß vor Gericht Foto: ZDF

INTERVIEW Tobias Goltz

taz: Herr Thieme, kaum jemand polarisiert in Deutschland so sehr wie Uli Hoeneß. Was hat Sie an der Rolle gereizt?

Thomas Thieme: Hoeneß ist im Moment eine der umstrittensten Figuren, die es in Deutschland gibt. Er wird geliebt und gehasst. Solche Rollen muss man spielen.

Als Schauspieler seien Sie „wie gemacht fürs Schurkenfach“, wurde einmal geschrieben. Ist Uli Hoeneß für Sie ein Schurke?

Nein, wir wollen doch mal die Kirche im Dorf lassen. Als „schurkenhaft“ würde ich das, was er getan hat, niemals bezeichnen. Wenn Sie sich das Spektrum der möglichen Straftaten angucken, gibt es da viel schwerwiegendere Delikte. Im Vergleich zu Hoeneß haben die Figuren, die ich sonst häufig spiele, ganz andere Sachen auf dem Kerbholz.

Was hat Sie am Menschen Hoe­neß am meisten interessiert?

Vorher war er der große Hoeneß, bei dem man die Ohren gespitzt hat, wenn er sich geäußert hat. Und plötzlich war er der Angeklagte Hoeneß, der biblisch gestrauchelt nun vor seinem Richter steht und zusehen muss, dass er da einigermaßen vernünftig rauskommt – eine gewaltige Veränderung.

Der Spiegel beschrieb den Fall als „griechische Tragödie“. Sie kommen vom Theater – ist das ein zulässiger Vergleich?

„Der König ist tot – es lebe der König!“: Diesen Schlüsselsatz aus den griechischen Tragödien und den Königsdramen von Shakespeare kann man natürlich auf Hoeneß übertragen. Der König stirbt hier, indem er drei Jahre und sechs Monate Gefängnis bekommt. Und er kehrt zurück, indem er gleich darauf ins Mikrofon brüllt „Das war’s noch nicht“.

Sie haben schon einige Shakespeare-Könige gespielt. Hoeneß passt also ausgezeichnet in diese Reihe.

Ja, als ich die Rolle annahm, wusste ich allerdings nicht, dass Hoeneß ein Shakespeare-König ist. Die Parallelen habe ich erst entdeckt, als ich dann angefangen habe, an der Rolle zu arbeiten: Dieses Selbstbewusstsein am Anfang. Dass ein König ­heraustritt vor sein Volk und ihm sagt: „So, hier stehe ich, und jetzt bringt vor, was ihr vorzubringen habt.“ Und am Ende urteilt dann das Volk in Gestalt des Richters.

Thomas Thieme

wurde 1948 in Weimar geboren. Er absolvierte seine Schauspielausbildung an der „Ernst Busch“ in Ostberlin und spielte an vielen großen deutschen Theatern. Im Kino war er im Film „Das Leben der anderen“ zu sehen. Auch Helmut Kohl spielte er schon.

Gibt es eine Eigenschaft von Uli Hoeneß, in der Sie sich selbst wiedererkennen?

Diese Impulsivität in bestimmten Momenten, in denen er an die Grenzen des Kontrollverlusts gerät. Ein Beispiel ist dieses Interview, in dem es um den jungen brasilianischen Bayern-Spieler Breno geht, der wegen Brandstiftung verhaftet wurde. Hoeneß verliert jede Sachlichkeit, weil er der Meinung ist, dass man einen 22-jährigen Ausländer, der nicht einmal vernünftiges Deutsch spricht, nicht einfach wegsperren kann. Das hat mir gefallen. So etwas hätte mir auch passieren können.

Brauchen wir hin und wieder prominentes Scheitern, um unser eigenes besser zu verkraften?

Natürlich wünscht man sich die Katharsis. Im Drama wäre die jetzt auch dran. Wir sollten uns den Fall genau ansehen und unsere demütigen Schlüsse daraus ziehen. Im alten Griechenland hat das geklappt – da war die Vernunft ein ganz wesentlicher Bestandteil des Lebens. Da wurden aus dem Fall von König Ödipus, der – wenn man es nicht ganz ernst nimmt – in etwa mit dem Fall von Uli Hoeneß vergleichbar ist, tatsächlich Konsequenzen gezogen. Genauso wie auch mit der dramatischen Hauptfigur selbst – in diesem Fall ist es Uli Hoeneß – eine Katharsis stattfinden kann.