Das Hören in andere Hände geben

ECHTZEITMUSIK Zum ersten Mal widmet sich ein Festival in Berlin dem Thema Übertragungen von Musikin Musik: Bei „Translating Music“ übersetzen Musiker die Musik eines anderen Genres in ihr eigenes

Die Übersetzung verhält sich zum Original nicht wie ein Abbild

von Franziska Buhre

Vorwissen und Unwissen können die Faszination von Konzertereignissen gleichermaßen befördern. Während Besucher_innen etwa in der Philharmonie das gegenwärtige Dirigat des berühmten Klangkörpers X mit jenen der Sammelalben in ihrer Erinnerung abgleichen, begeben sich andere bewusst an Spielorte der Berliner Echtzeitmusik-Szene, um sich von gänzlich unerwarteten Klängen überraschen zu lassen. In beiden Fällen bleiben dem Publikum die vorangegangenen Prozesse von Aneignungen, Einübungen, Wahl der geeigneten Mittel und künstlerische Strategien eher verborgen.

Das Festival „Translating Music“ lädt nun erstmals zur Teilhabe an künstlerischen Verfahren der Übersetzung ein: An drei Abenden präsentieren aktuelle Musikschaffende im Ballhaus Ost live ihre Auseinandersetzungen mit bereits existierenden Werken ihrer Zeitgenoss_innen oder solchen aus früheren Jahrzehnten. Die Initiatoren des Festivals, die beiden Composer-Performer Andrea Neumann und Christian Kesten und der Musikwissenschaftler Matthias Haenisch haben gezielt neun Kompositionsaufträge vergeben. So entstehen paarweise Konstellationen, etwa Übertragungen elektronischer Musik in das Spiel akustischer Ensembles und umgekehrt, wird die Besetzung eines Stücks durch andere Instrumente transformiert, der Klang eines Ensembles zum orchestralen Konzert eines Musikers, oder wird aus Improvisation eine wiederholbare Komposition.

Die bestechende Idee, Musik von Künstler_innen durch die Musik Anderer zum klingen zu bringen, geht zurück auf die Feststellung, in der Echtzeitmusik-Szene würde wenig Musik für die Weitergabe notiert, da Composer-Performer ihre eigenen Werke selbst auch aufführen. Neumann, Mitgründerin der Plattform Labor Sonor im Jahr 2000, und Kesten widmeten daher 2013 die Konzertreihe „Das Klatschen der zweiten Hand“ der Interpretation von Musik durch Musik. Notate von Einspielungen oder notierte Grundideen für Improvisationen wurden an andere Musiker_innen weitergereicht, ein Jahr später wurde in der Reihe „Transmit Power“ die einmalige Hör-Erfahrung zum Auslöser weiterer kompositorischer Verfahren bestimmt.

Der Begriff der Übersetzung bietet den eingeladenen Künstler_innen nun eine Vielzahl möglicher Übertragungswege, von der Interpretation zur Re-Komposition, vom Remix zum Cover, von der Adaption des Originals bis zu dessen Echo. „Insofern ist Übersetzung für das Festival ein Instrument, unterschiedliche Arbeitsweisen miteinander zu vergleichen, ihre vorgeblichen Differenzen und Grenzen zu überprüfen,“ so Matthias Haenisch zur Konzeption von „Translating Music“. „In der Übersetzung findet eine Umwandlung statt, sie verhält sich zum Original nicht wie ein Abbild, sondern führtes fort.“ Andrea Neumann ergänzt: „Die Originale stehen auf einem Podest, aber man wird vielleicht sogar mehr erfahren über die Künstler_innen, die übersetzen, als über das Ausgangsmaterial.“

Am ersten Abend präsentiert die in Berlin lebende japanische Komponistin Makiko Nishikaze ihre Übersetzung des kollektiv komponierenden Trios der Kreis des Gegenstandes in der Besetzung für Piccoloflöte, Tuba und Harfe, ein Stück des Tubisten Robin Hayward wiederum wird am zweiten Abend von Grischa Lichtenberger in elektronische Musik übersetzt. Die Schweizer Multimedia-Musikerinnen Les Reines Prochaine und das Berliner Composer-Performer-Ensemble Les Femmes Savantes eint zwar eine feine feministische Ironie, auf die Übersetzung der Schweizerinnen darf man am Eröffnungsabend aber besonders gespannt sein, weil beide aus ganz unterschiedlichen musikalischen Traditionen kommen. Der Electro-Avantgardist Felix Kubin übergibt sich am zweiten Abend in seiner Übersetzung mehreren Stücken des Berliner Splitter Orchesters, am dritten überträgt der Komponist Stefan Streich mit dem Ensemble Mosaik ein Stück für modularen Synthesizer von Thomas Ankersmit auf zwei Klarinetten und zwei Violoncellos.

Musikenthusiasten haben die Wahl: Sie können sich die Originale vor dem Konzertbesuch auf laborsonor.de anhören oder sich direkt auf die Entdeckungsreise nach Resonanzen zwischen Original und Übersetzung im Konzert begeben, im parallelen Symposium berichten Musikwissenschaftler_innen von ihren Begleitungen der Übersetzungsprozesse von Les Reines Prochaine, Makiko Nishikaze und Burkhard Beins, übersetzende und übersetzte Künstler_innen kommen in Vorträgen und Diskussionsrunden selbst zu Wort. Bei „Translating Music“ gehen musikalische Praxis, Kunst und Wissenschaft Hand in Hand – das Festival greift ein Thema auf, dass internationale Musikkulturen künftig noch weiter beschäftigen wird.