KURT FLASCH, PREISTRÄGER
: Sprünge im Denken

■ Der Mainzer lehrte lange in Bochum. Abschiedsvorlesung: „Warum ich nicht mehr Christ sein kann“. Foto: Martin Schneider

Glaubt man Jurymitglied Otto Kallscheuer, dann erinnert der seit 1994 vergebene Hannah-Arendt-Preis „in den kontroversen Diskussionen über politische Gegenwartsfragen an Hannah Arendts Diktum“, dass nämlich „der Sinn der Politik die Freiheit“ sei. Heute erhält den Preis der Mediävist und Philosophiehistoriker Kurt Flasch. Warum Flasch? Was hat der 79-Jährige mit kontroversen Gegenwartsfragen zu tun?

Von 1970 bis zu seiner Emeritierung 1995 war er an der Ruhr-Universität Bochum tätig. Sein Spezialgebiet war die Philosophie der Spätantike und des Mittelalters. Flasch befasste sich eingehend mit dem Werk des Augustinus von Hippo, Dietrich von Freiberg, Meister Eckhart und Nikolaus von Kues – und das nicht, um aus ihnen ein Gefüge der philosophischen Ursprünge des christlich-humanischen Abendlandes zu formen. Vielmehr scheint Flasch sich besonders herausgefordert zu sehen, wenn es Brüche und Sprünge gibt in der Geschichte des Denkens.

Der Wissenschaftler habe sich die Freiheit im Denken gerade da genommen, wo weder die öffentliche Meinung noch der akademische Normalverbraucher sie vermuten würde, heißt es nun in der Jury-Begründung. Bei Augustin etwa diagnostiziert Flasch einen Rückfall in theologische „Archaismen“, die längst überwunden schienen.

Die Denkgeschichte des Abendlands beschrieb er als „Kampfplätze der Philosophie“. Das Christentum war demnach keineswegs Garant abendländischer Werte. „Wer die ,Synthese‘ von Glaube und philosophischer Vernunft feiert, aber die Kämpfe ignoriert, weiß kaum die halbe Wahrheit“, schreibt Flasch: Nicht „ewige Wahrheiten“ stellten den wesentlichen Antrieb der Philosophie dar, sondern intellektuelle Auseinandersetzungen. Mit Gott wiederum hält es Flasch eher wie Meister Eckhart: Dieser „dachte Gott als das, was nicht der Fall ist. Er dachte Gott als Wort und Bild und Geist.“

Übergeben wird der Hannah-Arendt-Preis 2009 heute um 18 Uhr im Festsaal der Bremischen Bürgerschaft. Die Laudatio hält der Literaturwissenschaftler Karl Heinz Bohrer. KAWE