„Mutti kommt zu Multikulti“

KANZLERIN Beim „Bürgerdialog“ in Duisburg-Marxloh nennt Angela Merkel die Migration aus Südosteuropa eine „Belastungsprobe“ für arme Viertel und verspricht Hilfe

Ein paar Duisburger Demonstranten begrüßen vor der Tür den Gast aus Berlin Foto: Ina Fassbender/reuters

von Anja Maier

Der Duisburger Stadtteil Marxloh scheint ein einziges sozialarbeiterisches Projektfeld zu sein. Zu diesem Schluss kann man kommen, lauscht man dem „Bürgerdialog“ der Kanzlerin mit dessen Bewohnern. Am Dienstag war Angela Merkel ins dortige Hotel „Montan“ gekommen, um mit sechzig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern die Frage zu diskutieren, was für sie „gutes Leben“ bedeutet.

Doch gutes Leben ist eher knapp in Marxloh. Fast jeder, der sich zu Wort meldete, schraubt beruflich an sozialen Verwerfungen. Ob der katholische Pater, der Jugendtrainer oder der Feuerwehrmann - alle arbeiten mit Menschen für Menschen. Einzige Ausnahme ist ein Mann, der sein Geld mit dem Verkauf von Brautkleidern verdient. Und der beschwert sich bei der Kanzlerin: „Wir fühlen uns von den Zuwanderern belästigt.“

Marxloh - 19.000 Einwohner, davon 64 Prozent mit Migrationshintergrund - steht prototypisch für jene Stadtteile, in denen kaum noch produziert und gehandelt wird, sondern die abhängig sind vom Geld des Staates, der Kommune. Die meisten leben von sozialen Leistungen oder, indem sie in irgendeiner Weise helfen, den Mangel zu verwalten. Man hört es, wenn sie die Kanzlerin fragen, ob die Bundesregierung nicht endlich dafür sorgen könnte, dass Anträge auf Projektgelder in verständlicher Sprache verfasst werden können. Oder wenn sie sich darüber beschweren, zwar Tausende Förder-Euro für neue Rechner zu bekommen, dass aber die Zulassung für sozialarbeiterische Beratungstätigkeit Monate auf sich warten lässt.

Die Kanzlerin soll bitte königinnengleich Detailfragen klären, so klingt es manchmal. Und das, obwohl Merkel doch eigentlich gekommen ist, um über das große Ganze zu sprechen. Und das tut sie auch. Toleranz sei „nicht zu verwechseln mit Regellosigkeit“, sagt sie. Die Migration aus Südosteuropa nennt sie eine „Belastungsprobe“ für arme Viertel. Zugleich verspricht sie mehr Hilfe für arme Stadtteile wie Duisburg-Marxloh.

Der Ruf des Viertels ist durch die Neuzuwanderer nicht besser geworden

Der Ruf des Duisburger Viertels ist schlecht, und er ist nicht besser geworden, seit in das ohnehin schon arme Viertel die Ärmsten der Armen ziehen: bettelarme Familien aus Bulgarien und Rumänien, die den sozialen Frieden auf eine harte Probe stellen. Skrupellose Geschäftemacher mieten Wohnungen für achtzig Personen, es gibt Probleme mit den Kindern, die nicht in die Schule geschickt werden. Mittlerweile, erzählt ein Lehrer, ziehen die alteingesessenen türkischen Familien weg in bessere Viertel. Und eine Frau schildert, dass sie sich von den Polizisten vor Ort, die sich nicht mehr in bestimmte Gegenden trauten, nicht beschützt fühlt.

Merkel will Druck auf die Vermieter dramatisch überbelegter und vermüllter Schrotthäuser machen und besser über die Hintermänner der Immobiliengeschäfte aufklären. „Menschen werden praktisch wie Ware behandelt und ausgebeutet“, sagt sie. Es müsse transparent werden, wer diese Häuser zur Verfügung stelle. Die Frage sei: „Was können wir tun, um den Leuten das Geschäftsmodell zu zerstören?“ Eine echte Antwort hat sie aber nicht. Merkel verweist auf den zuständigen Oberbürgermeister oder die rot-grüne Landesregierung. Abgehobenheit kann man ihr gleichwohl nicht vorhalten. Die offensichtlichen Probleme vor Ort sind nur einfach zu komplex, als dass sie sie von Berlin aus richtig einschätzen, gar lösen könnte.

Dass Merkel hierher kommen würde, hat die Negativberichte über Marxloh zuletzt noch einmal befeuert. „Die Mutti kommt zu Multikulti“, beschreibt ein Diskussionsteilnehmer das Setting. Merkel lächelt dünn. Am Mittwoch will sie das Flüchtlingsheim im sächsischen Heidenau besuchen.