Leider wird der mittelalte Mann jedes Jahr unleidlicher
: Mit Weisheit und würdevoller Resignation

Liebling der Massen

von Uli Hannemann

Wenn ich das Wort „Rentner“ sage, denke ich an welke Kalkkameraden in beigefarbener Funktionskleidung. Und wenn ich das denke, hört man, dass ich das denke. Auch wenn ich es in Anwesenheit meines Vaters dahinplappere. Noch immer arbeitet er von morgens bis abends oder sprintet Berge rauf und runter. Ihn habe ich gar nicht gemeint. Aber er ist Rentner.

Jetzt, da ich selber schon fast Rentner bin, fällt mir meine Unbedachtheit auf die Füße. Nun weiß ich, wie sich das anfühlt. Denn analoge Denkschablonen existieren auch für mittelalte Männer. Oft vergessen Jüngere in meiner Umgebung, wie mittelalt ich bin, und spotten in meiner Gegenwart, als wäre ich nicht da: „Neulich hat doch so ein abgeranzter xy-Jähriger …“ (und für xy wird ein mittleres Alter eingesetzt, das meist noch unter meinem liegt). Die Peer Group kichert schon bei der Altersangabe erwartungsfroh, als hätte ein Stand-up-Comedian seinen Vortrag mit Signalwörtern wie „Sachsen-Anhalt“, „Mohammed“ oder „Prämenstruelles Syndrom“ eingeleitet. Oder sie lästern in sozialen Netzwerken. Weil sie uns dabei nicht sehen, doch natürlich sind wir immer da: Die mittelalten Männer sind überall. Im Netz, in der Kneipe, im Bundestag.

Mittelalte Männer stehen die ganze Nacht auf dem Balkon und rauchen. Mittelalte Männer haben schlechte Zähne, graue Haarbüschel in den Ohren und überall Pigmentstörungen – sie sehen aus wie eine Mischung aus Meth-Head, Dalmatiner und Waldohreule. Mittelalte Männer hören niemals zu, außer sich selber und manchmal anderen mittelalten Männern. Mittelalte Männer knallen zahme Löwen ab und führen Weltkriege. Mittelalte Männer können die Welt nicht mehr verstehen. Mittelalte Männer wollen das auch gar nicht. Mittelalte Männer sind langsam und unflexibel. Der generöse Türenaufhaltersexismus mittelalter Männer droht jederzeit in blanken Frauenhass umzuschlagen. Wo seine Altersgenossinnen ihre zunehmende Unsichtbarkeit beklagen, stören mittelalte Männer sichtbar immer mehr. Stimmt nicht? Doch! Mittelalte Männer haben immer recht und wissen alles besser.

Blickt man aus dem Inneren eines Ladens durch eine spiegelnde Schaufensterscheibe nach draußen, kann man die zur unkontrollierten Fratze verzerrten Gesichter mühsam hereinstarrender mittelalter Männer sehen, die sich unbeobachtet wähnen. Mittelalte Männer wähnen sich immer unbeobachtet. Mittelalte Männer stinken. Doch es gibt auch Gutes. Mittelalte Männer besitzen die herbe Niedlichkeit eines jungen Beutelteufels. Unfassbar drollig wirkt ihr sehnsuchtsvoller Blick, wenn sie einem 40-jährigen Mäd­chen hinterherblicken, das auf ewig unerreichbar für sie bleibt. Nicht zu vergessen ihre rührend tapsigen Versuche, mit technischen Neuerungen klarzukommen. Eigentlich könnte der mittelalte Mann ganz nett sein.

Nur leider wird der mittelalte Mann mit jedem Jahr nur umso unleidlicher. Was er vorher besser gewusst hat, weiß er jetzt noch besserer. Hat er zuvor Löwen erschossen, mordet er nun Pandabären mit dem Flammenwerfer. Statt nachts auf dem Balkon, raucht er jetzt tags im Schlafzimmer.

Das sind die Wahrheiten, die der mittelalte Mann im Kreise junger Menschen über sich erfährt. Mittelalte Kolumnisten kommen damit nicht klar und schreiben zornig-weinerliche Texte, deren Peinlichkeit auf alle mittelalten Männer zurückfällt – ein Bärendienst. Mittelalter Mann, trage dein Los mit Weisheit und würdiger Resignation. Bleibe gelassen. Schlag nicht zurück. Heul nicht rum. Wasch dich mal. Würde er nicht so viel jammern, könnte der mittelalte Mann mit weitaus mehr Verständnis rechnen. Schließlich gibt es durchaus objektive Gründe, um ihn zu bedauern: Noch so lange hat er bis zum Tod, und davon ist so viel routinierter Leerlauf.