Uniformierter Alternativstyle für Touristen, die keine sein wollen: Alles so schön gleich hier
Nullen und Einsen
von Meike Laaff
Kaum habe ich die Wohnungstür aufgeschlossen, ist mir, als ploppte über jedem einzelnen Einrichtungsgegenstand eine Sprechblase auf. „Hier kannst du dich total gemütlich hinkuscheln“, verkündet die über den beigen Fluffsofas. „Aber auch deinen Individualismus unter Beweis stellen“, ergänzt eine weitere über dem zwei Meter hohen Ölschinken im Schlafzimmer. „Hier ist alles genau auf deine Bedürfnisse abgestimmt …“, wirbt es über der schwarz glänzenden Ikeaküche. „… und doch ist alles irgendwie auch total authentisch“, ergänzt es über dem Didgeridoo, das da so en passent an der Wand lehnt.
Wir könnten mit unserer kleinen Reiserotte in Lissabon gelandet sein, in London oder Berlin – der Style der Airbnb-Wohnung wäre immer der gleiche gewesen. Leger, pseudoindividualistisch, ein bisschen DIY, ein bisschen Flohmarkt und Ikea – aber bitte schön nicht ärmlich zusammengerümpelt. Jedes Möbel eine Botschaft – zusammenkuratiert für Individualreisende, die so wenig Touristen sein wollen wie Hipster Hipster. Und dafür gern auf das Päckchen Gummibärchen auf dem Kopfkissen verzichten.
Also für uns.
„Ob hier wohl sonst jemand wohnt?“, fragt meine Freundin. Ich schaue ins halbleere klobige Teakholzregal, in das der Vermieter Tu-mir-nicht-weh-Belletristik drapiert hat, daneben ein „Lunch atop a Skyscraper“-Druck. Kein einziges Kleidungsstück in der ganzen Wohnung, keine Zahnbürste im Bad. Nein. Hier lebt niemand länger als ein paar Tage. Unsere Reiserotte ist in einer dieser Wohnungen in bester Innenstadtlage gelandet, die dem lokalen Wohnungsmarkt fehlen. Zumindest sind wir nicht mit Uber hergefahren, rechtfertige ich mich still. Blicke mich noch mal um und muss an Jaron Lanier denken.
Über den regte ich mich vor einigen Jahren maßlos auf, wegen seiner These vom digitalen Maoismus: Schwarmintelligenz werfe vor allem dummes und langweiliges Zeug aus. Man einige sich auf Mittelmaß, kleinste gemeinsame Nenner. Und jetzt stehe ich mitten in so einem Inneneinrichtung gewordenen Konsens.
Uniformer Alternativstyle. Was sich halt so rausmendelt, wenn Leute, die ihre Butzen für Airbnb einrichten, erst online nachschauen, wie all die anderen Airbnb-Inserate aussehen. Und reproduzieren. Kleiner gemeinsamer Nenner. Weil: Anecken ist im Zeitalter des Plattformkapitalismus nicht so das große Ding. Womit mich auch im Urlaub mal wieder die Erkenntnis einholt: Die automatisch bessere Welt durch Internet, die gibt es halt nicht. Weil im und durch das Netz nur dann mehr Vielfalt und Freiheit und Ideen und Kreativität entsteht, wenn Leute es entsprechend nutzen.
Statt dessen macht als nächstes in Berlin wahrscheinlich ein Service auf, der Tine-Wittler-mäßig Wohnungen auf Airbnb-Style trimmt. Oder gleich ein ganzes Möbelhaus für Airbnb-Inneneinrichtung. Die kommt dann gleich neben mein Hipster-Fitnessstudio mit Super-Mario-Parcours und Aerobic-Trainern, die alle aussehen müssen wie Darwin Deez. Das wäre doch mal ein Alleinstellungsmerkmal!
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