berliner szenen Das Alphabet der Stadt

J wie Johannisthal

Ein letzter Blumenladen, ein Bäcker mit Haustürservice. Der Geruch von Weihnachtsgebäck umspielt die Nasen der Schülerinnen an den Haltestellen jenseits der S-Bahn-Trasse. Der „Filmpalast Astra“ ist nur eine Station entfernt, die Lichter der Großstadt sind hier, wo die Fassaden abbröckeln und man die Häuser nackt sieht, kaum bemerkbar.

Sich verlieben in Johannisthal. Ob so etwas möglich ist? Wohnen jedenfalls scheint hier kein Problem zu sein. Ein Stadtplan listet auf, was sonst noch alles geboten wird: von der AOK, dem Alten Rathaus und dem Arbeitsamt über Dinge wie dem Aboretum, Heimatmuseum, Jugendklub, Musikschule, Schuldnerberatung bis zum Wohnungsamt. Reichhaltiges Johannisthal.

Ein frei stehender Glockenturm neben der Kirche, die heute die Suppenküche für Bedürftige geöffnet hat. Die Werbung der Hospizwoche verheißt „Leben bis zuletzt“. Das Ende des Stadtteils ist schnell erreicht; die Tram zieht eine Schleife, letzte Passanten laufen an einem Bräunungsstudio vorüber. Regen am Lindhorstweg.

Am Ende des Sterndamms, gegenüber den Plattenbauten der „WG JO“ (so kürzt sich die Wohnungsgesellschaft Johannisthal ab), haust ein platzloser Tennis-Club. Die neuen Häuser sind in blassem Pastellgelb gehalten. Vor der neuen Autobahn ein Stau wie damals bei Maueröffnung – drei Kanalarbeiter schauen in ein tiefes Loch. Ein Linienbus mit Rentnern wackelt vorbei.

Drüben im Chinarestaurant „Kaiser Drachen“ brennt Licht. Man wartet auf die Eltern der Schüler, die sich jetzt in Kinosesseln näher kommen oder sich in die Stadt verdrückt haben. Hinter dem Globus-Baumarkt strahlen die neuen verpixelten Ampeln ihr Grün in die Luft.

RENÉ HAMANN