Ohne Ticket in Bus und Bahn – ist das unsozial? NEIN

Lieber würde ich Geld aus dem Fenster schmeißen, als es für den innerstädtischen Nahverkehr auszugeben. Geld in einen Fahrkartenautomat zu werfen, kommt mir weder notwendig vor, noch besonders schlau, aber am wenigsten scheint es mir politisch sinnvoll zu sein.

Erstens bezahlen wir alle den öffentlichen Nahverkehr bereits - mit Steuern und Abgaben. Städte, Gemeinde und Länder subventionieren die Verkehrsverbände – aber nutzen dürfen wir sie nur, wenn wir nochmal extra zahlen?

Zweitens entstehen durch die Verfolgung und Sanktionierung von Umsonstfahrenden erhebliche Kosten. Wer mehrmals ohne Ticket erwischt wird, bekommt eine Strafanzeige, wer seine Schulden nicht bezahlt, auch. Viele Jugendliche aus dem prekärem Milieu saßen schon mal wegen Schwarzfahrens im Knast. Das steht einerseits in keinem Verhältnis zu anderen Delikten, die mehr Schaden verursachen, aber weniger hart bestraft werden. Andererseits ist der wirtschaftliche Schaden, den ein Gefängnisaufenthalt verursacht, viel größer, als der, den das Erschleichen der Dienstleistung verursacht. Die Sanktion ist also nicht wirtschaftlich.

Dazu kommt, dass Mobilität nicht nur ein Grundbedürfnis der Menschen ist, sondern auch in Form einer Erwartung von verschiedenen Seiten an jeden und jede gestellt wird. Die Anforderungen der Leistungsgesellschaft sind untrennbar mit Beweglichkeit verbunden: Wir werden genötigt, aus eigener Tasche dafür aufzukommen, dass Arbeitswege, Behördengänge und andere Abläufe, die das System am Laufen halten, schnell und reibungslos funktionieren. Der Staat schiebt den BürgerInnen die Kosten zu und zieht sich aus der Verantwortung.

Das wirkt sich auch auf individueller Ebene aus: Um gesellschaftlichen Anforderungen zu genügen, muss man selbstverständlich mobil und flexibel sein – wer nicht von hier nach dort kommt, hat keine Chance auf dem Arbeitsmarkt, keine guten Aussichten im Sozialsystem, und keine Möglichkeit auf Teilhabe und Mitbestimmung am öffentlichen Leben.

Den Preis des Nahverkehrs zahlen hauptsächlich die, die ohnehin wenig am öffentlichen Leben teilhaben. Diejenigen, die besonders laut schreien müssen, um sich Gehör zu verschaffen, wohnen selten in den Szenevierteln im Stadtzentrum. Am städtischen und gesellschaftlichen Rand, in unattraktiven Siedlungen an Autobahnauffahrten und in Industriegebieten, sind sie besonders auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Gleichzeitig sind die Marginalisierten diejenigen, die es sich nicht leisten können, Geld dafür auszugeben.

Damit die Sanktion aber nicht die trifft, die ohnehin nichts geschenkt bekommen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns solidarisch zu organisieren, solange der Nahverkehr noch nicht umsonst ist. Frühwarnsysteme und Versicherungen für Ohne-Ticket-FahrerInnen sind ein guter Anfang.

Gernot Knödler