LESERINNENBRIEFE

Laut, zäh, selbstbewusst

betr.: „Das kleine Glück des Protests“, taz vom 1./2. 8. 15

Die Behauptung, „heute ist ein Rest wuterstarrt weiterhin am Bahnhof zugange“, ist so richtig daneben. Erst neulich hat die Mahnwache, die eigentlich ein Infostand ist, ihr fünfjähriges Jubiläum gefeiert – seit fünf Jahren ist der Infostand der Gegner von Stuttgart 21 Tag und Nacht besetzt, mit meist gut gelaunten Menschen. Wöchentlich kommen zur Montagsdemo um die tausend Menschen. Sie ist ein Superforum, um Dinge zu erfahren, die nicht in der Presse stehen (weil diese kein Interesse hat oder lieber andere Interessen vertritt), was Technisches und Rechtliches beim Bau des unterdimensionierten, schrägen Kellerbahnhöfles für mindestens 7 Milliarden Euro angeht – sie ist noch immer das, was der Spiegel im Dezember 2013 als diese „laute, zähe, selbstbewusste Minderheit“ nannte, die die Wirkung einer Fliege hat, die am Einschlafen hindert.

MANUELA KUNKEL, Stuttgart

Ärztliche Bildungslücke

betr.: „Wo das Gesetz nicht greift“, taz vom 30. 7. 15

Endlich bereitet die Bundesregierung ein Gesetz gegen Bestechung bei selbstständigen Ärzten vor. Und nun die Kassenärztliche Vereinigung: den Ärzten sei unklar, was Bestechung ist. Landläufig versteht man unter Korruption das Geben oder Nehmen von Geld oder Gegenständen, um eine bestimmte Leistung zu erhalten oder zu geben. Im öffentlichen Dienst darf nicht einmal ein Kugelschreiber angenommen werden, selbst wenn dafür keine Gegenleistung erwartet wird. Nun könnte man meinen, den Kassenärzten fehle bisher ein Unrechtsbewusstsein bei derlei Handlungen. Ein mit einer – zugegeben leicht erreichbaren – Promotion abgeschlossenes Studium scheint solche Allgemeinbildung nicht zu vermitteln. Höchste Zeit, dass der Gesetzgeber diese Bildungslücke schließt!

JÜRGEN FIEGE, Bremen

Welche Haarfarbe hat der Imam?

betr.: „Drei gegen den Dschihad“, taz vom 1./2. 8. 15

Schade, dass wir Leser des sehr informativen Artikels nicht erfahren, welche Haarlänge/-farbe, Brille und Hosenweite der Gefängnisimam Mustafa Cimşit hat, wohingegen sein weibliches Pendant uns solcherart nahegebracht wird („lange braune Haare, große Brille, enge sonnengelbe Hose“)! Geht’s noch, liebe Sabine am Orde? In der taz so ein Ausrutscher? Mögen die nachhaltigen Erfolge der Frauenbewegung auf unser Gender-Bewusstsein auch (leider) spärlich sein – sie leichtfertig wieder preiszugeben darf nicht sein! CHRISTIAN BURGMANN, Bonn

Es geht nicht um „prüde“

betr.: „Frau Kim kämpft um ihren Job“, taz vom 31. 7. 15

Autor Kretschmer findet die Südkoreaner prüde, weil sie Prostitution ablehnen. Prüde. Fände Kretschmer es akzeptabel, wenn seine Frau, Tochter, Freundin oder Schwester mit dieser Tätigkeit ihren Lebensunterhalt verdienen müsste? Wohl kaum. Und das sicher nicht, weil er prüde wäre. Selbst Deutschlands bekanntester Bordellbetreiber erklärte, ihm würde „das Herz brechen“, wenn seine Tochter sich prostituieren würde. Der Kauf und Verkauf sexueller Dienstleistungen verstößt gegen die Menschenwürde, macht viele Prostituierte psychisch krank und die Kunden abgestumpft und empathieunfähig. Es ist sehr traurig, dass für die im Titel zitierte Frau Kim (43) „Sex die einzige Einkommensquelle ist, um über die Runden zu kommen“. Ähnlich wird es den allermeisten anderen südkoreanischen Prostituierten gehen, da hilft auch die euphemistische Bezeichnung „Sexarbeiterin“ nicht. GISELA GRAF, Magdeburg

Vorausschauendes Handeln

betr.: „Nichts gelernt?!“, taz vom 28. 7. 15

Irgendetwas stimmt an dieser Darstellung nicht. Wenn das Grundrecht auf Asyl in den 90er Jahren praktisch abgeschafft worden sein soll, wieso werden dann zurzeit hier so viele Asylanträge gestellt? Vielleicht habe ich damals nicht richtig aufgepasst, aber an völlig überfüllte Erstaufnahmelager, Containerdörfer oder Zeltstädte für Asylbewerber kann ich mich nicht erinnern. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Politik schon mal auf einem solch qualitativ hohen Niveau so vorausschauend gehandelt hat.

Wir haben es gerade mit einer Verdoppelung des Zustroms von Flüchtlingen im Vergleich zu 2014 zu tun. Das ist erst der Anfang, denn heute geht es nicht mehr um eine einzige Krisenregion, sondern um eine ganze Reihe von Konflikten, deren Lösung nicht abzusehen ist. Es geht darüber hinaus überhaupt nicht darum, den Menschen, die aus dieser Misere fliehen, etwas vorzuwerfen. Doch die durch diese Situation hervorgerufenen Probleme und das Konfliktpotenzial sollte man nicht schönreden.

Wir leben hier in einer komplexen, hochentwickelten Gesellschaft mit hoher Bevölkerungsdichte. Wir können nicht wie in Jordanien oder der Türkei für Syrer Flüchtlingsstädte in die Wüste bauen. Wir sind auf Integration angewiesen, wenn uns die Gesellschaft nicht um die Ohren fliegen soll.

Je mehr Menschen kommen, desto wichtiger wird es sein, die Ressourcen auch bereitzustellen, die das ermöglichen.

HARTMUT GRAF, Hamburg