Der Geruch des Wandputzes

THEATER Wo das Speisezimmer zugleich Schlachthof ist: Der Schweizer Christoph Marthaler inszeniert das Stück „Oh, it’s like home“ von Sasha Rau am Schauspiel Köln

VON ALEXANDER HAAS

„Da konntest du dir ja teilweise beim Altwerden zugucken“, meinte einer nach der Vorstellung. Damit wollte er sagen: Mann, war das öde! Davor hatte sich unter den schleppend einsetzenden Applaus ein deutlich genervtes „Buh“ für die Regie gemischt. Die feierlaunigen Kölner verstehen unter Spaß wohl doch etwas anderes als das, was Christoph Marthaler ihnen mit der Uraufführung des Stückes „Oh, it’s like home“ aufgetischt hat. Geschrieben hat den knappen Text von 17 Seiten seine Lebensgefährtin, die Schauspielerin und Autorin Sasha Rau, die auch im Ensemble des Abends spielt.

Wir sehen vier Personen, drei Frauen und einen Mann, typisch Marthaler’sche Monadenexistenzen, also eher gruppeninkompatibel. Wo sie sind, das ist ein merkwürdiger Unort. Gebaut hat ihn Duri Bischoff. Im Text heißt es, man befinde sich in einem Speisesaal. Dafür spricht eine in eine Holzwand eingelassene Durchreiche zu einer dahinter liegenden weißen Küche. Der Rest des großen, völlig unmöblierten Raums, den Bischoff samt schieferverkleidetem Dachgiebel in die Schauspiel-Nebenspielstätte Halle Kalk gebaut hat, ist kaum eindeutig zu identifizieren: Es ist eine riesige leere Vorhalle, unansehnlich beige-braun gefliest; neben weiß verputzten Wänden gibt es viel hölzerne Schrankwand, ganz rechts einen offenen Kamin. Gefühlsmäßig könnte es ein in den frühen 70er Jahren vergessenes, zu groß geratenes Vereinsheim sein. Gemessen am Verhalten der Figuren allerdings auch eine Klapse.

Mein ständiger Schlaf

Die vier, Egon (Joseph Ostendorf), Ilse (Silvia Fenz), Gunda (Sasha Rau) und Hanna (Bettina Stucky), scheinen genauso aus dem Fortschreiten der Zeit gefallen wie der Raum, in dem sie sich treffen. Jeder von ihnen berichtet in langen Monologen aus seiner Biografie. Es gibt aber keinen übergeordneten Plot, der diese merkwürdigen Berichte in einen Zusammenhang stellen würde. Wir erfahren, wo jeder jeweils eine offensichtlich prägende Zeit seines Lebens verbracht hat: Egon in einem Kinderheim, Gunda in einer Reinigung, Hanna in einem Schlachthof, Ilse in einer Säuglingsstation.

Aber das sind alles andere als lineare Erzählungen, vorgetragen mit hoher Distanz zwischen Sprechweise und Gesagtem, jeweils so idiosynkratisch, dass der Hau ins Absonderliche, den sie offenbaren, uns für die Figuren einnimmt. Zum Beispiel sagt Egon über sein Kinderheim: „Mein ständiger Schlaf ist wie eine Sehnsucht, anzukommen.“ Zwischen den Monologen treten die vier hin und wieder in knappe Dialoge ein – in denen sie sich nicht nahekommen. Oft stehen sie in großen Abständen zueinander penibel choreografiert im Raum. Oder sie riechen mal am Putz oder verkriechen sich in der Schrankwand.

Raus Stück begünstigst in seiner bewussten Ungreifbarkeit, seiner surrealen Hermetik, die es durch die unverbunden nebeneinandergestellten Sätze der Figuren erzeugt, Marthalers bekannte Ästhetik der Langsamkeit und der feinen Bizarrerien. Manchmal setzen die Spieler Äußerungen isoliert in den Raum, wo sie wie stumm stehen bleiben. Dann erwartet man eine Pointe. Aber nicht jede der so platzierten Äußerungen hat das Zeug zu einer. Dann verpuffen sie ganz ohne Effekt. Und weil das ein paar Mal passiert, wird man misstrauisch, zweifelt am Meister, seine Ästhetik (der Zweifel ist nicht ganz neu) steht plötzlich als Marke da, man sieht nur noch die Rezeptur dahinter.

Dagegen stehen die tollen Momente, „Vintage-Marthaler“ sozusagen. Die gibt es nur in der auf seine Weise choreografierten Kombination aus Raum, Musik und Schauspieler. Die Musik bildet die meistens unauffällige, leise, aber eminent bedeutsame Hintergrundmelodie des Abends. Bendix Dethleffsen spielt in einem Nebenraum live am Klavier, vorwiegend klassisches Repertoire zwischen Bruckner und Satie. Die Musik setzt die Grundstimmung des Abends. Sie heißt: Wir sind verloren in der Welt. Diese Stimmung spiegelt sich in den monadischen Figuren und ihren Reden, die sie als Kontaktsuchende ausweisen. Einmal kommt Bettina Stucky mit einem kleinen Modell des ganzen Hauses herein, in dem das Stück stattfindet: ein Ort, ein Haus, dieses Haus, unser Haus, wo wir jetzt leben. So trist dieser Beige-in-Beige-Raum, dieses home ja aussieht – plötzlich ist es unendlich cosy. Und das einzige, das sie haben.

Die Schauspieler in „Oh, it’s like home“ pflegen die zurückhaltende Variante ihrer Kunst. Sie verstehen es, uns Egon, Gunda, Hanna und Ilse als liebenswerte aus dem Leben Gefallene nahezubringen. Man sollte sich die Zeit nehmen und nicht sich selbst, sondern ihnen gerne beim Altern zusehen.

■ Schauspiel Köln, nächste Vorstellungen am 23., 25., 26., 27. 1.