Frei.Wild auf St. Pauli
: VerruchteWohlfühl-
Welt

Hamburger Soundtrack

von Nils Schuhmacher

Das Reeperbahn-Festival geht im September in die 10. Runde. Manche stellen es sich wie einen großen Staubsauger vor. Eine Menge Bands werden eingesogen und danach ist erst mal wieder Ruhe in allen Ecken. Der Vergleich hinkt aber.

Erstens hat das Festival auch präventiven Charakter. Während der Staubsauger den Schmutz erst finden muss, um ihn zu eliminieren, ist wegen des besagten Festivals schon Wochen vorher nicht mehr recht was los, denn die Bands sind ja mehrheitlich schon eingetütet.

Zweitens kennt der Staubsauger weder Freund noch Feind, während die Festival-Leitung entscheidet, wen sie will. Es kommt in diesem Fall Geschmack, aber auch die sogenannte Moral zum Tragen. Einer Band wie Frei.Wild bleibt unter diesen Umständen nur: Innovation.

Die mit hohen Verkaufszahlen und großer Scheinheiligkeit gesegneten nationalistischen Rocker aus Südtirol haben aktuell mit einer PR-Aktion auf sich aufmerksam gemacht, mit der sie den Eindruck erwecken, ihr geplantes Club-Konzert auf St. Pauli stehe im Zusammenhang mit dem Reeperbahn-Festival.

Die Veranstalter finden das nun gar nicht gut. Neben dem erwarteten Zuspruch (und dem erwartbaren Aufschrei der genauso scheinheiligen Fans) haben sie sich allerdings Kritik von ganz unerwarteter Seite eingehandelt: „Kiez-Ikone“ Kalle Schwensen hat sie darauf hingewiesen, dass die selbstverständlich geduldeten Bands der Vergangenheit im Grunde nichts anderes waren als eine Ansammlung von Abweichlern und Gesetzesbrechern.

Seine Schlussfolgerungen sind nun nicht unbedingt das, was man inhaltlich überzeugend nennen kann. Einen wunden Punkt hat er aber doch getroffen: denn den Veranstaltern geht es natürlich vor allem darum, sich einerseits am verruchten Klischee der Reeperbahn zu wärmen, andererseits aber ihr Selbstbild einer bunten und toleranten Wohlfühlwelt und Marke Popmusik zu retten, deren Inhaltslosigkeit durch das Programm der Begleitkonferenz nur unterstrichen wird.

Und das erwartbare Ergebnis des moralischen Aufschreis: Frei.Wild werden wohl im September nicht auf der Reeperbahn auftreten, aber statt politischer Auseinandersetzung (ein paar aktuelle Themen wären zur Hand) gibt es am Ende doch wohl nur unpolitische Selbstbeweihräucherung. Bis zum nächsten Jahr schon mal.