Röslers Coup

MACHTKAMPF Der FDP-Chef sichert sich seinen Posten, Rivale Brüderle wird „Spitzenmann“ im Wahlkampf

VON MATTHIAS LOHRE

BERLIN taz | Philipp Rösler bleibt FDP-Vorsitzender. Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, ist in Wirklichkeit eine erstaunliche Entwicklung. In einem taktisch meisterlichen Coup sichert sich der 39-Jährige die schon verloren geglaubte Macht und zwingt seine heftigsten Kritiker, ihn zu stützen.

Als am Montagvormittag die Nachricht durchsickerte, Rösler biete seinem Rivalen Rainer Brüderle den Parteivorsitz an, schickten Nachrichtenagenturen bereits Listen bisheriger FDP-Chefs in die Redaktionen. Die Amtszeit des glücklosen Niedersachsen schien nach weniger als zwei Jahren vorüber. Dann drehte Rösler den Spieß einfach um.

Der Moment war günstig. Am Sonntag hat die niedersächsische FDP mit 9,9 Prozent das beste Landtagswahlergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Als Rösler am Morgen danach im Parteipräsidium überraschend anbot, zugunsten Brüderles „zur Seite zu treten“, falls dieser den Parteivorsitz übernehmen wolle, war das ein vergiftetes Angebot. Denn nun musste der Fraktionsvorsitzende zeigen, was er tatsächlich will: Geht es ihm wirklich um gute FDP-Wahlergebnisse oder schlicht um die Macht?

Brüderle hatte noch am Freitag, zwei Tage vor der Wahl in Niedersachsen, in einem Interview Rösler attackiert und einen vorgezogenen Parteitag verlangt. Eine klare Kampfansage: Selbst ein Wahlsieg, sollte das heißen, dürfe Röslers Kopf nicht retten. Hätte der 67-Jährige Röslers Angebot angenommen, wäre offenbar geworden, was in seiner Kritik am Parteichef immer mitschwang: Brüderle kann den jungen Niedersachsen und alles, wofür er steht, nicht ausstehen. Doch Röslers Rechnung ging auf: Sein Herausforderer kniff.

Nun haben sich die Vorzeichen im Machtkampf in der FDP verändert. Wenn die Delegierten sich im März statt, wie bisher geplant, im Mai zum Parteitag treffen, werden sie ihren Vorsitzenden nicht abwählen, sondern notgedrungen unterstützen. Als Spitzenkandidat liegt es in Brüderles Interesse, die gesamte Parteispitze vor Angriffen aus den eigenen Reihen zu schützen. Rösler hat einen Konkurrenten zum Unterstützer gemacht. Zumindest bis zur Wahl im September wird die starke Parteiströmung der Mittelständler Rösler stützen, anstatt ihn wie bisher zu bekämpfen.

Als Brüderle und Rösler am frühen Nachmittag vor die Presse treten, tun sie, was sie tun müssen, ohne dass ihnen jemand glauben würde: Sie betonen ihre Einigkeit. „Kapitän ist der Parteivorsitzende“, sagt Brüderle. Er selbst habe als „Spitzenmann“ die Aufgabe, „Tore zu schießen“. Rösler betont, die Parteiführung setze im Bundestagswahlkampf auf die Unterstützung der Landesverbände, allen voran Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Deren Führungsleute, Christian Lindner beziehungsweise Wolfgang Kubicki, zählen zu den heftigsten Rösler-Kritikern. Der Parteichef will auch sie zur Unterstützung nötigen.

Kann dieses Kalkül aufgehen? Der Parteichef hat getan, was er konnte, um seinen Posten zu retten. Doch unbestritten ist, dass die FDP ihr blendendes Landtagswahlergebnis Stimmen vormaliger CDU-Wähler verdankt. Diese wollten durch ein Votum für die Freidemokraten das schwarz-gelbe Bündnis in Hannover retten. Im Bund hingegen bleiben die Probleme dieselben: Hier plagen Rösler miserable Umfragewerte zwischen 3 und 4 Prozent. Er selbst ist unbeliebt, eine informelle Zweitstimmenkampagne von CDU-Wählern nicht in Sicht.

Rösler bleibt ein Trost: Geht die Bundestagswahl krachend verloren, kann ihm sein Rivale Brüderle nicht mehr im Amt folgen. Als „Spitzenmann“ ist er mitverantwortlich fürs Wahlergebnis. Je nach Abschneiden seiner Partei kann Rösler womöglich gar den Wiederaufbau der FDP in der Opposition betreiben. Wahrscheinlicher ist jedoch ein anderes Szenario: Nach der Wahl ist der Weg frei für die bundespolitische Rückkehr eines Mannes, der als Letzter große Sympathien in der gesamten FDP genießt: der NRW-Landes- und Fraktionsvorsitzende Christian Lindner.