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Die vermeintliche Leichtigkeit des Nichtstuns, Rap-Diskussionen im KW-Institut und der Mallorca-Kumpel von Dieter BohlenGleichmäßiger gebräunt als ein Broiler

Ausgehen und Rumstehen

von Juri Sternburg

Nur weil die Sonne scheint, ist das kein Grund nach draußen zu gehen.“ Ich würde ja gern widersprechen, aber irgendwie ist an der Theorie etwas Wahres dran. In letzter Zeit waren die Veranstaltungen auch alle etwas mau. In den üblichen Stammclubs herrschen subtropische Temperaturen.

Bei all dem Wasser, das man da trinken muss, wirkt man schnell wie jemand, der sich zu viel Ecstasy eingeschmissen hat. Ohne das ganze Wasser wirkt man zwar auch so, aber das hat andere Gründe. Ecstasy zum Beispiel. Tanzen fällt also flach.

Vielleicht mal was mit Kultur. Eine Diskussion über die Faszination für Gewalt in der Rap-Kultur im „KW Institute for Contemporary Art“ musste aufgrund akuter Lachkrämpfe des Publikums beinahe abgebrochen werden. Was weniger an den geladenen Gästen Antonia Baum oder Marcus Staiger, sondern eher an der utopischen Vorstellung des Publikums lag, dass die Moderatorin der Veranstaltung eventuell weiß, mit wem sie hier über was redet. Dem war leider nicht so.

Irgendwann musste Bushido mal wieder herhalten, für irgendwas, egal. Sein ehemaliger Kompagnon Bass Sultan Hengzt beschrieb meinen derzeitigen Zustand einst annähernd perfekt: „Ich sitz allein in mein‘m Zimmer, es ist so kochend heiß/ich knabber an mein‘n Fingern, bis ich mir auf meine Knochen beiß.“

Ich drehte die Boxen auf, öffnete das Fenster und blickte mich gelangweilt um. Mir gegenüber ein gewohntes Bild. Mein Nachbar macht es, glaub ich, genau richtig. Tag für Tag sitzt er an seinem Fenster, raucht und lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Sein Oberkörper ist ebenfalls gut gebräunt.

Schlapp am Kottbusser Tor

Seine Beine stehen höchstwahrscheinlich in einem Wasserkübel voller Eiswürfel, anders kann ich mir seinen stoischen Gesichtsausdruck nicht erklären. Es sei denn, er ist inzwischen zu einer Leder-Büste mutiert. Ich stelle mir vor, wie er das Haus verlässt und verwunderte Blicke erntet. Gesicht, Schultern und Arme sehen aus wie von Dieter Bohlens bestem Mallorca-Kumpel, die Beine dann so käseweiß wie von diesen Menschen, die Anträge auf Parteitagen der Piraten stellen.

Während der nächsten Song-Zeilen treffen sich unsere Blicke. „Mein Nachbar gegenüber, sag mir mal, filmt der mich?/ ich rauche Kippen über Kippen und dann noch den Filter mit.“ Welch ein intimer Moment. Für mich zu intim. Ich zieh mir eine Hose an und verlasse schleunigst das Haus. Alle Bekannten haben sich an die Seen der Stadt verabschiedet. Ich geh da nicht rein, im Wasser ficken die Fische. Am Kottbusser Tor schleppen sich Junkies und Berlin-Besucher gleichermaßen gequält durch die Straßen. Die Grenzen zwischen Hero-Chique und echter Abhängigkeit zerfließen.

Lediglich ein Parteienstand täuscht Geschäftigkeit vor. Ein Anwohner mault: „Lieber hänge ich tot über einem Zaun im Kosovo, als dass ich auch nur eine Sekunde lang die Grünen unterstütze“, und zitiert damit den kürzlich verstorbenen Harry Rowohlt. Ich würde klatschen, fürchte aber, die Umstehenden mit umherfliegenden Schweißtropfen zu belästigen.

Auf dem Nachhauseweg kommt mir mein Nachbar entgegen. Er ist gleichmäßiger gebräunt als die Antibiotika-Broi­ler im Hühnerhaus am Görlitzer Park. Stellt sich die Frage, ob er seine Haxen im Solarium nachbrutzelt, Bräunungscreme benutzt oder noch ein Fenster Richtung Hof hat, aus dem er ab und zu seine Beine rausbaumeln lässt. Dem werde ich auf den Grund gehen.

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