Rebellion der Basis

Kitastreik Die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst stimmen gegen den Schlichterspruch – und stellen sich gegen die eigene Gewerkschaftsspitze

Viele Forderungen, kaum etwas erfüllt: Erzieherin während einer Kundgebung im Juni in Kiel Foto: Claudia Thaler/dpa

von Pascal Beucker

Der Satz dürfte Frank Bsirske nicht leicht gefallen sein: „Der Streik wird fortgesetzt.“ Es ist eine 180-Grad-Wende, die der Verdi-Chef am Samstag in Fulda verkündete. Entgegen seinen Planungen geht der Arbeitskampf im Sozial- und Erziehungsdienst weiter. So hat es die Gewerkschaftsbasis entschieden. Und Bsirske beugt sich ihrem Votum.

Die Verdi-Spitze zieht die Konsequenzen aus dem Ergebnis ihrer Mitgliederbefragung über die Schlichtungsempfehlung im Sozial- und Erziehungsdienst. Obwohl die Gewerkschaftsführung für die Annahme geworben hatte, stimmten mit 69,13 Prozent mehr als zwei Drittel der bei Verdi organisierten ErzieherInnen, SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen dagegen. Das sei „ein absolut klares Signal“ und ein „eindeutiger Handlungsauftrag“, sagte Bsirske.

Für Eltern ist das keine gute Nachricht. Damit könnten im Spätsommer oder Herbst wieder zahlreiche kommunale Kitas streikbedingt geschlossen bleiben. „Zu welchen Zeitpunkt genau, das wird sich zeigen“, sagte Bsirske. Es werde „zu unkonventionellen Streikformen kommen“, kündigte er an. Nur wenn die Arbeitgeber zu „substanziellen Zugeständnissen“ bereit seien, könnten erneute Streiks noch vermieden werden.

Auch bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und dem Deutschen Beamtenbund, die ebenfalls von dem Tarifstreit betroffen sind, votierten deutliche Mehrheiten gegen den Schlichterspruch: 68,8 Prozent bei der GEW, mehr als 60 Prozent beim Beamtenbund. Beide Organisationen äußerten sich nur vage, ob sie bereit sind, nun den Arbeitskampf fortzusetzen. Die Mitglieder ihrer Tarifkommission würden nun am Montag „abwägen müssen, ob wir durch weitere Streiks am Ende wirklich mehr erreichen“, teilte die GEW mit. Beamtenbund-Verhandlungsführer Andreas Hemsing sagte, seine Organisation werde die Arbeitgeberseite bei der nächsten Verhandlungsrunde auffordern, „auf das Votum entsprechend zu reagieren“.

Der Ende Juni von dem früheren Hannoveraner Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg (SPD) und dem ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt vorgeschlagene Schlichterspruch empfahl Einkommensverbesserungen von durchschnittlich 3,2 Prozent für die 240.000 Angestellten im Sozial- und Erziehungsdienst der Kommunen. Für die Beschäftigten hätten sich nach Arbeitgeberangaben Zugewinne zwischen 33 und 160 Euro brutto ergeben. Am besten abgeschnitten hätten ältere KinderpfegerInnen und ErzieherInnen in Leitungsfunktionen. Höchstens minimale Verbesserungen wären hingegen für SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen herausgekommen.

Der Schlichterspruch war meilenweit von den Forderungen der Gewerkschaften entfernt. Ihr erklärtes Ziel war es, mittels einer generellen Heraufstufung in höhere Tarifgruppen außerordentliche Gehaltserhöhungen von durchschnittlich 10 Prozent durchzusetzen. Doch damit bissen sie bei den Arbeitgebern auf Granit. Im April scheiterten Verhandlungen. Auch ein darauf folgender vierwöchiger Streik konnte die Städte und Gemeinden nur zu minimalen Zugeständnissen bewegen.

Nach der Ablehnung der Schlichtungsempfehlung durch die Beschäftigten hofft Verdi-Chef Bsirske nun auf ein Umdenken der Arbeitgeber. Sie seien „gut beraten, dieses Signal ernst zu nehmen“, sagte er. Die Beschäftigten erwarteten eine „echte Aufwertung“ ihrer Tätigkeiten.

„Das ist ein eindeutiger Handlungsauftrag“

Verdi-Chef Frank Bsirske

Doch die Städte und Gemeinden zeigen sich weiter hartleibig. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) warf den Gewerkschaften vor, sie hätten „mit unrealistischen Forderungen und durch ihr aggressives Vorgehen Erwartungen geweckt, die nicht zu erfüllen“ seien. Nun seien sie offenbar nicht mehr in der Lage, den Tarifkonflikt zu beenden.

Ein Entgegenkommen schloss VKA-Präsident Thomas Böhle aus. „Sowohl die Arbeitgeber- als auch die Gewerkschaftsvertreter in der Schlichtungskommission haben der Einigungsempfehlung zugestimmt“, sagte er. Es handele sich um einen austarierten Kompromiss, der „auch für die kommunalen Arbeitgeber kein Wunschergebnis“ sei, so Böhle. „Weitere Veränderungen gegenüber dem Schlichterspruch kann es nicht geben.“

Am Dienstag wird die Bundestarifkommission von Verdi über ihr weiteres Vorgehen beraten. Die nächsten regulären Tarifgespräche zwischen Gewerkschaften und den kommunalen Arbeitgebern sollen am Donnerstag in Offenbach stattfinden. Man könne sich darauf verlassen, „dass es spannend bleibt“, kündigte Frank Bsirske an, „und möglicherweise noch spannender wird.“