Abgeschoben und wütend in der Banlieue

Zwei Jahrzehnte kämpften Jugendliche aus der Vorstadt für ihre Rechte. Die jetzigen Brandstifter kämpfen allein

In der Banlieue konzentrieren sich alle sozialen Probleme, an denen Frankreich krankt

PARIS taz ■ Die Verdrängung des Elends jenseits der Grenzen der größten Städte hat in Frankreich eine lange Tradition. Schon Baron Georges Eugène Haussmann, Pariser Präfekt von 1853 bis 1870, ließ breite Schneisen durch die dicht besiedelten Armenviertel der Stadt schlagen, in denen immer wieder Aufstände begonnen hatten. Dabei entstanden die breiten Boulevards, deren Name von dem deutschen „Bollwerk“ abgeleitet ist. Die Opfer jener Stadtpolitik mussten in ein Gebiet ziehen, das bis heute „Banlieue“ heißt – der gebannte Ort.

Die strikte Trennung zwischen Banlieue und Stadt existiert bis heute. Die Banlieue ist ein Konglomerat von unabhängigen „Vorstädten“ – mit eigenen Bürgermeistern und Verwaltungen und eigenen Budgets. Letztere sind nur in Ausnahmefällen hoch. Das Extrembeispiel einer reichen Vorstadt ist Neuilly – der Ort im Westen von Paris, den Innenminister Sarkozy jahrelang als Bürgermeister geleitet hat. Neuilly ist einer der reichsten Orte von Frankreich. Er hat nur 2,5 Prozent Sozialbauten in seinem Wohnungsbestand gegenüber teilweise mehr als 50 Prozent Sozialbauten in den proletarisch geprägten Vorstädten.

Anders als Deutschland, das seine Kolonien am Ende des Ersten Weltkriegs verlor, behielt Frankreich die seinigen bis in die 60er-Jahre. Bei der Dekolonisierung zogen hunderttausende ehemaliger Kolonialsiedler sowie Bewohner der Kolonien in das „Mutterland“. Rund um die Großstädte entstanden Schlafstädte für die Neuankömmlinge. Von der seit den 80er-Jahren ständig steigenden Arbeitslosigkeit sind diese Vorstädte besonders stark betroffen. Dort konzentrieren sich alle sozialen Probleme, an denen Frankreich krankt.

Einwanderer in Frankreich haben gleiche Rechte. Frankreich betrachtet sich als Einwandererland. Spätestens ab der ersten in Frankreich geborenen Generation ist man gleichberechtigt. Die Umsetzung dieses formalen Rechts in praktische Politik haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer neue Jugendbewegungen in den Vorstädten verlangt. Oft wurden sie dabei von innerstädtischen Linken unterstützt.

Die jetzigen Brandstifter sind hingegen allein. Sie genießen keine politische Unterstützung. In ihre Revolte mischen sich nur Polizisten ein – und meist muslimische Religiöse. DOROTHEA HAHN