„Trachten sind ein Kulturgut“

ALTE MODEN Katharina Koppenwallner verkauft in ihrem Geschäft in Mitte jahrzehntealte Kleidung aus Laos, Transsilvanien oder Rumänien. Kombiniert werden können die originalen Trachten mit zeitgenössischer Mode, so ihre Idee

■ 46, hat Kunstgeschichte und Volkskunde studiert und arbeitet als Stylistin für Mode- und Werbeproduktionen. Im September hat sie das Geschäft „International Wardrobe“ eröffnet. Almstadtstraße 50, Do. bis Sa. 12–19 Uhr.

www.internationalwardrobe.de

INTERVIEW BARBARA BOLLWAHN

taz: Frau Koppenwallner, seit September betreiben Sie in Mitte das Geschäft „International Wardrobe“, in dem Sie alte Trachten und folkloristische Heimtextilien aus Rumänien und Ungarn, Kambodscha, Laos und Vietnam verkaufen. Wie ist diese Idee entstanden?

Katharina Koppenwallner: 2008 war ich krank und wollte gegen meinen fahlen Teint eine bunte rumänische Bluse. Ich habe im Internet gesucht, aber nichts gefunden.

Warum wollten Sie ausgerechnet eine rumänische Bluse gegen blasse Gesichtsfarbe?

Ich bin ein großer Trachtenfan und habe nie verstanden, warum Trachten oder ältere folkloristische Kleidung nicht in einem modernen, ästhetisch und intellektuell korrekten und schönen Rahmen gezeigt werden.

Wie und wo haben Sie dann eine Bluse gefunden?

Ich habe in einem Reiseführer von Kalotaszeg gelesen, einem von Ungarn bewohnten Gebiet im Nordwesten von Transsilvanien. Dort bin ich hingefahren und habe eine Bluse gefunden.

Geben die Menschen ihre alten Sachen leichtfertig weg?

Nein. Und das finde ich auch gut.

Warum?

Sie kennen den Wert ihrer Sachen. Ich will nicht von der Armut profitieren, was ich in gewisser Weise aber tue, weil ich mir die alte Kleidung in Ungarn nicht leisten könnte oder weil sie gar nicht mehr da ist. In Rumänien sagen zum Glück viele Frauen, dass sie die Sachen, die sie selbst oder ihre Mütter gemacht haben, nicht verkaufen. Aber da sie auch Sachen von anderen Frauen kaufen, verkaufen sie diese weiter. Und wenn man öfter kommt, kriegt man auch mal was von der Mutter angeboten.

Retten Sie die alten Trachten vor dem Verschwinden oder beteiligen Sie sich nicht auch an einem Ausverkauf kultureller Schätze?

Diese Frage habe ich mir von Anfang an gestellt. Deshalb habe ich eine Sammlung zusammengestellt. Ich will nicht nur Kultur vermitteln und verkaufen, ich will sie auch bewahren. Zum Bewahren gehört es, die Sachen auszustellen, was ich im Frühjahr im Kunstverein in Hamburg gemacht habe. Außerdem habe ich auf meiner Homepage Texte zur Herkunft und Geschichte der Kleidung.

Wie umgeht man die Gefahr, wie ein „Folklore-Liesel“ auszusehen, wenn man in Berlin alte Trachten aus Indochina oder Transsilvanien trägt?

Das ist eine Frage der Dosierung. Man sollte immer nur ein folkloristisches Teil tragen, der Rest sollte möglichst schlicht und oder elegant sein. Wilde Trachtenmixturen funktionieren nur in Modezeitschriften, und auch da mag ich sie eigentlich gar nicht.

Wen haben Sie als Kunden im Visier?

Leute wie mich, die keine Lust mehr haben, viel Geld für eine Marke zu bezahlen, die nur noch ein Marketinginstrument ist, oder für Sachen, die sie nach einem Jahr nicht mehr ansehen wollen, weil ihre modische Halbwertszeit abgelaufen ist.

Interessiert es Sie, was gerade angesagt ist?

Nein. Oft sehe ich 1:1 nachgemachte Sachen von Trachten aus meinem Laden. Neulich erst habe ich eine ungarische Jacke, die ich habe, in einer Prada-Kollektion gesehen.

Geht Ihnen da nicht die Hutschnur hoch?

Nein, ich finde das gut. Trachten sind ein allgemeines Kulturgut, auf das man sich gerne beziehen und von dem man sich inspirieren lassen kann. Man sollte es allerdings nach außen deutlich machen, wenn man sie komplett kopiert, weil auch für Trachten eine Art Urheberrecht besteht.

Sie setzen billig produzierten Kleidungsstücken von der Stange, die oftmals nicht länger als eine Saison halten, handgefertigte jahrzehntealte Trachten entgegen. Welche Absicht steckt dahinter?

Trachten sind nicht nur Mode, sie haben auch mit Identität zu tun. An einer Tracht kann man erkennen, ob jemand ledig ist oder reich, aus welchem Ort jemand kommt usw. Viele Menschen sind es leid zu sehen, wie viel Blut an einer H&M-Klamotte klebt, die für 10 Euro gefertigt wurde. Ich bin es auch leid. Als ich zum Beispiel die rumänische Bluse gesucht habe, hätte ich auch losgehen können, um bei Zara eine schöne, bunte Bluse zu kaufen. Die hätte aber nicht diesen Wert für mich. Es ist meine Art von Luxus, loszugehen und das zu suchen, was ich will. Und ich weiß, dass ich diese rumänische Bluse noch in zehn Jahren anziehen werde.

Nach welchen Kriterien suchen Sie die Kleidung aus?

Ich suche sie danach aus, ob sie etwas erzählen, und auch danach, ob man sie hier tragen kann. Bestickte, 3/4 lange Baumwollhosen sehen am Strand ganz gut aus, können aber schnell nach einem uninspirierten Dritte-Welt-Ökolook aussehen. Ich habe gerade meine Liebe zu wadenlangen, plissierten Trachtenröcken aus Rumänien entdeckt. Die sehen mit hohen Schuhen und einem einfachen Rollkragenpullover großartig aus. Es sind ähnlich ästhetische Gesichtspunkte, nach denen man auch ein Bild auswählen würde.

Und das allein bringt Ihr Geschäft zum Laufen?

Nein, wenn ich mit diesen Dingen handele, brauche ich auch Sachen in größerer Stückzahl. Wenn ich eine Jacke toll finde, die nicht zu teuer ist, kaufe ich mehrere. Ich versuche, weitere solche Produkte zu finden, so wie jetzt auch Holzhocker aus Rumänien, um irgendwann von dem Laden leben zu können. Dazwischen gibt es die Fundstücke, wobei es ja alles Fundstücke sind. Ich will von einer Tracht auch gar nicht alles haben.

Warum reicht Ihnen ein Teil?

Sonst wird es zu folkloristisch. Ein Einzelstück kann etwas Skulpturales haben, das man sich hinstellt. Wenn ich eine Puppe komplett in Tracht anziehe, sieht es wie im ethnologischen Museum aus. Das ist nicht das, was ich will.

Sondern?

Ein Teil aus seinem Zusammenhang herausnehmen und es höherwertig wieder einbauen. Ich will die Sachen in einen Galeriekontext setzen, damit sie aus dem Folkloremuff herauskommen. Es geht um das Bewahren zwischen Museum und Müllkippe.

Welche Produkte verkaufen sich am besten?

Die handbestickten und handgewebten Kissen aus Kalotaszeg. Sie werden von alten Frauen auf alten Stoffen nach alten Vorlagen gestickt. Sie brauchen für ein Kissen knapp zwei Wochen und machen das in abendlicher Heimarbeit vor den Fernseher. Am besten verkaufen sich die schwarz-weißen Kissen. Die passen auch auf ein Designersofa (lacht).

Sie arbeiten als Werbestylistin für globale Unternehmen wie Coca-Cola, Deutsche Bank oder H&M. Ist das die Pflicht und das Geschäft die Kür?

Als Stylistin bin ich Dienstleisterin. Das kann Spaß machen, aber auch sehr anstrengend sein. Hier im Laden vermittele ich etwas, was ich toll finde. Ich arbeite noch als Stylistin, aber mehr Zeit verbringe ich mittlerweile im Geschäft. Es ist ein langsames Wachstum, aber das Arbeiten ist so angenehm! Hier kann ich machen, was ich will. In Rumänien streicheln mir die Frauen über die Wange. Das ist viel mehr eine zwischenmenschliche Sache.

Wenn Ihr Geschäft gut läuft, haben Sie dann nicht irgendwann das Problem, dass Sie keinen Nachschub mehr finden?

Ja. Deshalb könnte ich mir vorstellen, mit den Frauen Kooperativen zu gründen. Wenn ich etwas finde, das aus ihrem Traditionsschatz kommt und auch in neu gemacht weiter- und wiederverkauft werden kann, wäre das eine Alternative. Ich bin kein „Es muss alles immer ganz alt sein“-Fetischist.