Syrien

Monatelang stand Kobani für den Terror des „Islamischen Staates“ und den Widerstand dagegen. Wie sieht es dort heute aus?

Eine Familie vor der Ruine eines Hauses in Kobani. Die Stadt war nach den Kämpfen nahezu vollständig zerstört Foto: Text und Bilder: Birgit Haubner

Neubeginn in Kobani

Die Fotografin Birgit Haubner besuchte Mitte Juni die monatelang von der Terrororganisation „Islamischer Staat“ belagerte syrische Grenzstadt. Seitdem die Dschihadisten vertrieben sind, kehren die Bewohner von Kobani zurück. Versehrte Stadt, versehrte Menschen, an Leib und Seele, die dennoch entschlossen sind, dort wieder Fuß zu fassen und an ihr altes Leben anzuknüpfen

Mahmud floh mit seinen Schafen in die Türkei und musste sie dort verkaufen

Zelikha Khalil, die 60-jährige Inhaberin eines Gemischtwarenladens, in ihrem Geschäft in Kobani. Dort verkauft sie alles, was sie momentan auftreiben kann. Viel sei dies nicht, sagt sie, denn weil die Grenze zur Türkei geschlossen ist, würden kaum Waren nach Kobani gelangen. Als im September 2014 der „Islamische Staat“ (IS) auf die Stadt vorrückte, sei sie mit ihrem Ehemann in die türkische Grenzstadt Suruc geflüchtet, berichtet Khalil. Als die Stadt vom IS befreit war, kehrte sie zurück nach Kobani, wo sie ihr Geschäft leer vorfand. Mit ihrem Einkommen möchte Zelikha Khalil vor allem ihre drei Töchter finanziell unterstützen. Trotz der problematischen Versorgungslage in der Stadt sei die Situation für sie gut, da sie und ihr Mann beide Arbeit hätten und ihr von den Kämpfen zerstörtes Haus mittlerweile repariert sei

Der zwanzig Jahre alte Mahmud Mustafa (l.) steht mit seinem 16-jährigen Mitarbeiter Ahmad Ali hinter dem Verkaufstresen seiner Metzgerei in Kobani. In einem kleinen Dorf unweit von Kobani hält Mustafa eine Herde von 200 Schafen. Zu Beginn der Kämpfe sei er in Kobani geblieben, erzählt er; er half den Kämpfern der „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG) beim Schlachten und versorgte sie umsonst mit Fleisch. Dann flüchtete Mahmud Mustafa mit seinen Schafen in die Türkei, musste aber 14 Tage lang an der Grenze auf den Übertritt warten. Seine Schafe hat er schließlich in der Türkei verkauft. Der Neubeginn in Kobani gestaltet sich für ihn, der vor gut fünf Monaten dorthin zurückgekehrt ist, schwierig. Die Menschen würden hauptsächlich Hühner kaufen, sagt der Metzger, weil diese viel billiger seien als Schaf oder Rind. Ein Kilogramm Schaffleisch kostet in Mustafas Metzgerei 2.000 Syrische Pfund (umgerechnet etwa 8,50 Euro), das Kilo Rindfleisch 1.500 Syrische Pfund (etwa 6,50 Euro).

Der 19 Jahre alte Mustafa in der Autowerkstatt seines Onkels Zilim Mahamad in Kobani. Vor einem Jahr kämpfte er mit den kurdischen „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG) gegen Dschihadisten des „Islamischen Staates“ (IS). Dabei wurde er durch einen Sprengkörper des IS schwer verletzt und verlor beide Hände. Auch sein Bruder Hussein wurde bei den Kämpfen verwundet und trägt seither eine Platinplatte im Bein. Bevor er sich den YPG anschloss, erzählt Mustafa, sei er Geschichtsstudent gewesen. Die insgesamt zwanzigköpfige Familie der Brüder war während der Kämpfe in die Türkei geflohen. Als sie von dort zurückkehrte, war ihr Haus zerstört, alle lebten zunächst in einem Raum. Seine Autowerkstatt hat Mustafas Onkel Zilim Mahamad geplündert vorgefunden. Mittlerweile hat er sie wieder eingerichtet, aber es fehlt an vielen Dingen für die Werkstatt, weil die Grenzschließung der Türkei keine Lieferungen zulässt. Zilim Mahamad ist der Einzige in seiner Familie, der momentan Arbeit hat.

Die Stadt: Kobani (arabisch: Ain al-Arab) liegt in der syrischen Provinz Aleppo an der Grenze zur Türkei. Vor dem syrischen Bürgerkrieg hatte die Stadt etwa 45.000 Einwohner – mehrheitlich Kurden, aber auch Araber, Turkmenen und Armenier. Seit 2012 kontrollierten kurdische Volksverteidigungseinheiten (YPG), die der kurdisch-türkischen Arbeiterpartei PKK nahestehen, die Stadt. Zwei Jahre später wurde Kobani zum Verwaltungszentrum des Kantons Kobani in Rojava (Westkurdistan) erklärt.

13. September 2014: Kämpfer des „Islamischen Staates“ (IS) beginnen eine Offensive auf Kobani nahe der Grenze zur Türkei. Zu diesem Zeitpunkt kontrollierte der Islamische Staat 350 Ortschaften in der Umgebung, während sich Kobani noch unter kurdischer Kontrolle befand.

27. September 2014: Die US-geführte Militärkoalition bombardiert erstmals IS-Stellungen in der Region Kobani.

27. Januar 2015: Die Stadt Kobani ist vollständig vom IS befreit.

Ende April 2015: Im Zuge heftiger Kämpfe verliert der IS fast alle Dörfer in der Umgebung von Kobani.

Ende Juni 2015: Nach der Eroberung der grenznahen syri­schen Stadt Tel Abiad durch kurdische und andere Milizen schlägt der IS zurück und tötet bei Selbstmordanschlägen in ­Kobani Dutzende Menschen; zudem gibt es Berichte über ein Massaker in der Nähe mit mindestens 20 ­Todesopfern. (bs)