Die Bäume des Bhutan

Klimaschutz Im Königreich mit dem per Verfassung garantierten Bruttonationalglück spielen die Natur und ihre Bewahrung eine tragende Rolle. Und die Bhutaner sind geradezu davon besessen, Bäume zu pflanzen. Eine Liebeserklärung

In einer Stunde beinahe 50.000 Bäume gepflanzt – Weltrekord Foto: Dupchu

Aus Thimphu Tshering Palden

Bhutan ist eine kleine Nation, nur ein Landstrich zwischen China und Indien mit weniger als 750.000 Bewohnern. Aber sie hält im Guinessbuch den Weltrekord im Bäumepflanzen. Zum 60. Geburtstag des Vierten Königs Jigme Singye Wangchuck pflanzten Hunderte von Freiwilligen in einer einzigen Stunde die atemberaubende Anzahl von 49.672 Baumschösslingen. Der Guiness-Titel hatte bereits in der Vergangenheit zu aufsehen­erregenden Aktionen auch in anderen Ländern inspiriert.

Wangchuck ist Preisträger des Earth Champion Award, einer Auszeichnung, den das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) verleiht. Mit der Pflanzaktion ehrten die Bhu­taner all seine Anstrengungen für den Naturschutz, eine nachhaltige Entwicklung und das Konzept des Bruttonationalglücks.

Teil des Daseins

Bäume zu pflanzen gehört zu unserem Leben. Ich habe in meiner ganzen Schulzeit Baumschösslinge gepflanzt, vom Vorkindergarten bis zur Universität. Es ist zu einem selbstverständlichen Teil unseres Daseins geworden, sogar in meinem Büro oder in Klöstern, Regierungsbüros und in den Dorfgemeinden – wir pflanzen jedes Jahr neue Bäume.

Es gibt uns das Gefühl, etwas bewirkt zu haben, und es bringt uns die Freude, die Pflanzen Jahr für Jahr wachsen zu sehen und sich jedes Mal wieder zu freuen, wenn man sie besucht. Es kann keinen besseren Weg geben, die Welt schöner und sicherer zu machen für meine Kinder und ihre Zukunft – gegen all die Auswirkungen des Klimawandels.

Schon seit vier Jahrzehnten, seit 1974, werden jedes Jahr Hunderttausende von Baumschösslingen gepflanzt, seitdem der Vierte König einen Sozialen Waldtag ausgerufen hat. In den späten 1940ern fand das erste gemeinsame Aufforsten auf 3,20 Morgen Land in einem Distrikt im Süden statt. Im vergangenen Jahr waren schon 44.530 Morgen Land in ganz Bhutan mit Pflanzungen bedeckt.

Die Bhutaner leben und genießen eine starke Bindung an die Natur: klares Wasser, klare Luft, unberührte, natürliche Umgebungen und viele Wald­erzeugnisse, die konsumiert werden können. Wir haben sehr profitiert von unseren Wäldern, in der letzten Zeit hauptsächlich von der Wasserkraft. Meine Vorfahren waren Farmer, die nicht nur von den Erträgen ihrer Felder gelebt haben, sondern auch vom Wald.

Ich erinnere mich mit großem Behagen daran, wie ich als kleiner Junge mit meinem Onkel das Vieh in den Urwäldern gehütet habe. Wir sammelten Feuerholz, Pilze und Pflanzen, die wir als Curry zubereiteten während die Rinder friedlich vor sich hin grasten.

Leben wie die Vorfahren

Selbst heute noch leben mehr als 70 Prozent aller Bhutaner wie meine Vorfahren in den ländlichen Regionen, und sie fühlen sich immer noch tief verbunden mit den Wäldern. Viele von ihnen sammeln Früchte und andere Erzeugnisse der Bäume und verdienen damit ein gutes Einkommen. Meine Tante bringt mir auch heute noch Farnkräuter und Pilze als Geschenk, wenn sie in die Stadt kommt, um mich zu besuchen. Das ist bei uns ganz normal.

Mehr als 550 Gemeinden haben Körperschaften für das Waldmanagement ins Leben gerufen, um die Waldressourcen in ihrer Region gut verwalten zu können. Es gibt strikte Gemeindeverordnungen. Die Ernte des Holzes und anderer Ressourcen muss sich an dem aufgestellten Nachhaltigkeitsplan orientieren. Wir haben bis jetzt immer in einer friedlichen Koexistenz gelebt. Aber heute wachsen die Konflikte des Menschen mit der Wildnis, besonders in den ländlichen Gebieten. Die Menschen dort verlieren ihre Ernte und ihren Nutztierbestand zunehmend an große Beutegreifer.

2010 zeigten Studien, dass 80 Prozent des Landes von Wald bedeckt sind. Ungefähr 50 Prozent des Landes ist als Naturpark geschützt und beherbergt einige der besonders gefährdeten wild lebenden Tierarten, wie zum Beispiel den bengalischen Königstiger, den Roten Panda, den Weißbauchreiher, den Schwarzhals-Kranich, den Schneeleoparden und den Goldlangur.

Rehe, Hirsche und Wildschweine kommen jedes Jahr in die Städte. Selbst in der Hauptstadt Thimphu werden sie gesichtet. Das könnte sogar zunehmen, da das Ministerium für Landwirtschaft und Forstverwaltung angekündigt hat, weitere 60 Morgen Wald im Bezirk Thimphu anzupflanzen.

Unsere Besessenheit, Bäume zu pflanzen, könnte uns helfen, die Gefahren durch die globale Erwärmung zwar nicht zu eliminieren, aber wenigstens zu minimieren. Denn die großen Gletscherseen drohen überzulaufen und unser Land zu überfluten.

Allerdings stellt die Modernisierung unser reichhaltiges natürliches Ökosystem vor die größten Herausforderungen. Erst vor wenigen Jahren wurde mein Dorf mit einer Straße verbunden. Sie hat die Maultierpfade ersetzt, die durch den kühlen Schatten des großblättrigen Waldes führten. Die Straße hat das Leben leichter gemacht für die Dorfgemeinschaft, aber sie hat auch eine große Narbe im Wald hinterlassen, viele Bäume sind gefällt worden.

Eine Straße wie eine Narbe

Fortschritt ist nicht nur schlecht. Wir importieren zum Beispiel Elektroautos

Nun besteht die Gefahr, dass es wie viele andere Siedlungen im ganzen Land stärker Erdrutschen und Springfluten ausgesetzt wird, die man sich vorher gar nicht vorstellen konnte. Auch deshalb gibt es so viel Unterstützung und Mitarbeit in den Gemeinden bei den Baumpflanzungen.

Aber der Fortschritt ist nicht nur schlecht. Unsere Regierung fördert den Import von Elektroautos, um die Anzahl der Benzinautos zu reduzieren. Im vergangenen Jahr wurden schon 60 Fahrzeuge eingeführt.

Ich habe große Hoffnungen und Erwartungen, dass der Rest der Welt genauso viel unternimmt und nicht nur herumsitzt und redet. Wir übernehmen unseren Part mit der verfassungsrechtlich abgesicherten Zusage, dass Bhutan 60 Prozent des Landes für alle Zeiten unter Waldbedeckung halten wird.

Ich bin stolz, dass wir uns außerdem verpflichtet haben, CO2 neutral zu bleiben und unsere Entwicklung am Index des Bruttonationalglücks auszurichten, wobei die Umwelt eine der Hauptkomponenten darstellt.

Ich werde weiter Bäume pflanzen, und ich werde sicherstellen, dass meine Kinder dies nach mir genauso tun.

Übersetzung aus dem Englischen: Gaby Sohl

Tshering Palden, 32, arbeitet bei der bhutanischen Zeitung Kuensel und besuchte die taz für zwei Monate über ein journalis­tisches Austauschprogramm