LeserInnenbriefe
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Mörderische Politik

betr.: „Wer nicht spart, muss fühlen“, taz vom 28. 7. 15

Die Folge von Merkels „Sparpolitik“ ist keine Genesung der griechischen Wirtschaft, sondern eine Senkung der Kaufkraft, eine dadurch bedingte Abnahme des privaten Konsums, eine nachfolgende Zunahme der Arbeitslosigkeit (zurzeit 28 Prozent), besonders bei jungen Menschen (60 Prozent), Steuerausfälle bei gleichzeitigem Anstieg der staatlichen Transferzahlungen (Arbeitslosengeld, Frührenten) und eine Ausweitung der Staatsschulden, im Falle Griechenlands von 130 Prozent auf 180 Prozent des BIPs in lediglich 5 Jahren.

Der letzte Schritt im Drama Beschädigung einer Volkswirtschaft durch „Rettungskredite“ und Kaputtsparen ist der Aufkauf öffentlichen Eigentums, „Privatisierung“ genannt: Ausländische Kapitaleigner erwerben zu Schnäppchenpreisen staatliche Unternehmen der Daseinsvorsorge (Telekommunikation, Elektrizitäts- und Wasserversorgung) und lukratives Eigentum wie Häfen, Flughäfen, Immobilien und Inseln. Die deutsche Fraport AG sitzt bereits in den Startlöchern, um 14 gewinnträchtige Flughäfen zu übernehmen, die subventionierten sollen bei Griechenland bleiben. So sieht die Hilfe à la Merkel aus. Das beschriebene Handlungsmuster ist stets das Gleiche: Erst wird ein Armutsland durch Kredite in Schuldknechtschaft lanciert, dann ökonomisch geplündert. Für die Mehrheitsbevölkerung (NormalverdienerInnen, alte, arbeitslose, arme, kranke Menschen) ist diese Politik verheerend, für manche BürgerInnen tödlich, auch in Griechenland: Anstieg der Säuglingssterblichkeit um 43 Prozent, der Suizidrate um 45 Prozent, Tod von Patientinnen, die sich die Medizin nicht mehr leisten können.

Armselig dagegen die Reaktion vieler Mitmenschen auf der Gegenseite (Deutschland): Dank Griechenland-Bashings in Politik und Medien wird Merkel für Härte nachgerade idolisiert. Die wirklich entscheidenden Fragen bleiben ausgeklammert: Warum durfte Deutschland überhaupt andere Eurozonen-Länder, auch Griechenland, ungestraft durch Lohndumpingpolitik und damit Nichteinhaltung der vereinbarten 19-Prozent-Inflationsrate ökonomisch niederkonkurrieren, denn nicht Griechenland gefährdet den Bestand der Eurozone, sondern Deutschland. Warum wurden Banken gerettet und nicht Menschen? Die Folgen der „Troika“-Politik scheinen die Einschätzung von Ulrike Herrmann jedenfalls zu bestätigen: Sie sehen nicht im Entferntesten nach „Hilfe“ oder gar „Rettung“ aus, eher nach Verbrechen gegen die Menschlichkeit. GLORIA DOHM, Göttingen

Zurückgelegte Rückstellungen?

betr.: „Rücklagen ohne Rückhalt“, taz vom 30. 7. 15

Unlängst las ich in der taz, dass eine Rückstellung keine Rücklage sei, sondern lediglich ein Buchungsposten in der Bilanz eines Unternehmens Kosten betreffend, die mit Sicherheit in der Zukunft auf ein Unternehmen zukommen werden. In dem Artikel „Rücklagen ohne Rückhalt“ ist im ersten Absatz von Atom-Rückstellungen, im dritten von Rücklagen, im vierten wieder von Rückstellungen die Rede. Und um das Durcheinander komplett zu machen, heißt es im fünften Absatz, dass Rückstellungen „zurückgelegt“ wurden. Was ja nun gar nicht funktionieren kann. Für mich stellen sich vor allem zwei Fragen. Lassen sich „Rücklagen“ noch als solche bezeichnen, wenn sie nicht wandelbar, also in Geld existieren, sondern schon in Anlagen investiert sind, die permanent an Wert verlieren? Und lassen sich „Rückstellungen“ überhaupt in einen Fonds übertragen, und wenn ja, was macht das für einen Sinn? CHRISTIAN SCHUHMANN, Barum

Wer wird da vor wem geschützt?

betr.: „Das hässliche Deutschland“, taz vom 31. 7. 15

Im Jahr 1977 wurde Generalbundesanwalt Bubak von linken Terroristen der RAF nicht weit von meiner Wohnung in Karlsruhe ermordet. So findet sich das auch in den Geschichtsbüchern. Wir, die Bevölkerung von Karlsruhe, mussten uns auf Veränderungen im Alltagsleben einstellen, das hieß: Polizeikontrollen und massivere Polizeipräsenz; vor allem in der Innenstadt, dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Mittelpunkt Karlsruhes und auch Sitz des Bundesverfassungsgerichts.

Wenn du bei einem Stadtbummel an einem Sommerabend einem Polizisten mit einer MG im Anschlag begegnest, tut das etwas mit dir. Heute bekomme ich beklemmende Déjà-vu-Gefühle, wenn ich die Berichte von den terroristischen Untaten der immer mehr aufkommenden Neonazis und deren Mitläufer lese – die Geschichte wiederholt sich, offensichtlich. Denn für mich sind diese neuen braunen Herrenmenschen Terroristen.

Als wir seinerzeit bei der Gegen-Nazi-Demo 2007 in Gräfenberg standen, wurden wir von der Polizei kontrolliert und informiert, dass Fotos verboten sind. Das braune Gegenüber stand jedoch breitbeinig an der Sicherheitsabsperrung und fotografierte uns – und niemand schritt ein. Auch das tut etwas mit dir. Wer wurde da vor wem geschützt? Ich habe als Mitbürgerin einfach ein Recht darauf, dass die demokratischen Grundgesetze der BRD mich und hier lebende eingereiste Mitmenschen und Gäste schützen und diese Gesetze umgesetzt und auch verteidigt werden. Aber gerade hier in Bayern geben sich die dafür zuständigen Stellen hartleibig. Letztendlich sind auch wir weltoffenen Mitbürger nur begrenzt sicher. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Befürworter einer humanen Migrationspolitik bedroht und verletzt werden. SIBYLLA M. NACHBAUER, Erlangen