Der Gesamtschalker

Darío Rodriguez trifft beim 3:0 von Schalke gegen Duisburg und wird zum neuen Symbol der Massen

SCHALKE taz ■ Die Schalker hatten die Partie gegen den MSV Duisburg schon unter dem Motto „erholsame Pflichtaufgabe“ abgehakt und genossen die letzten stressfreien fünf Minuten. Plötzlich bekam Abwehrmann Darío Rodriguez den Ball 25 Meter vor dem Tor in den Fuß gespielt. Er nahm ihn an, ging zwei Schritte und nagelte ihn vom linken Strafraumeck zum 3:0 in den Winkel. Es folgte ein kollektiver Aufschrei. Der Torschütze selbst schlug die Hände vors Gesicht, rannte verschüchtert zur Eckfahne, wo ihn seine Mitspieler der Reihe nach erdrückten. Selbst Mannschaftskollege Lincoln, kurz vorher ausgewechselt, sprintete in kurzer Hose und Daunenjacke die Seitenlinie entlang, um seinen südamerikanischen Kollegen zu beglückwünschen. Ekstase beim unwichtigen 3:0, in einem einseitigen Spiel.

„Darío ist halt ein Pfundskerl“, sagt Teammanager Andreas Müller, er sei wegen seiner bescheidenen und ruhigen Art sehr beliebt. Und mit seiner kunstfreien Spielweise scheint er den Fans, dem ganzen Verein das zurückzugeben, was die Mannschaft in den letzten Wochen hat vermissen lassen: Einsatz und Ehrlichkeit im Wissen um die Beschränktheit der fußballerischen Mittel. Kein Schnörkel, zur Not wird der Ball auch mal hoch nach vorne oder ins Seitenaus befördert. Kompromisslos erfolgreich. Rodriguez hat sich zum ideellen Gesamtschalker herauskristallisiert. Und Trainer Ralf Rangnick weiß auch andere Fähigkeiten des Uruguayers zu schätzen. „Er ist sehr intelligent. Bei ihm merkt man, dass er sich auch mit anderen Dingen beschäftigt, als Fußball zu spielen.“ Zum Glück – ansonsten wäre er seit seinem Wechsel zum FC Schalke 04 im Jahr 2002 von einer Sinnkrise in die nächste geschliddert.

In den ersten beiden Jahren konnte sich der Innenverteidiger nicht durchsetzen. Während der Saison 2003/2004 zog er sich einen Kreuzbandriss zu. das Kapitel Schalke schien beendet. Der damalige Trainer Jupp Heynckes wollte Rodriguez loswerden. Erst mit Ralf Rangnick kam die Wende. Seit acht Spielen gehört er zum Stamm.

Zufall und das Pech anderer war wohl auch beteiligt: Christian Pander, der linke Verteidiger in der Viererkette leidet an einem Kreuzbandriss, Mladen Krstajic, neben Marcelo Bordon zweiter Innenverteidiger, machte zu oft eine schlechte Figur. Grund genug für Ralf Rangnick seine Abwehr umzubauen. Krstajic rückte nach links außen, Rodriguez in die Zentrale. „Für mich ist er ein zentraler Verteidiger“, sagt Ralf Rangnick, auch wenn andere Trainer ihn wegen seines starken linken Fußes auch gerne mal auf die Außenbahn stellten.

Nach dem Spiel war Rodriguez abgetaucht. Die Schalker Verantwortlichen fanden ihn erst nach einer konzertierten Suchaktion im VIP-Bereich. Eigentlich wolle er ja nicht reden. Aber, was soll‘s: „Ich bin zufrieden“, sagte er. „Für mich ist es nicht wichtig, dass Darío Rodriguez gut spielt, sondern die Mannschaft“, gab er sich entpersonalisiert bescheiden. Und beim Schuss, ja da habe er durchaus Glück gehabt. Und darauf hoffe er auch weiter. Gestern flog er mit seinem Mannschaftskollegen Gustavo Varela nach Uruguay. 18 Stunden. Am 12. und 16. November geht es in den Ausscheidungsspielen mit der Nationalmannschaft gegen Australien um die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. „Das wird ganz schön anstrengend.“ Bestimmt nicht anstrengender als der Jubel. HOLGER PAULER