Ambivalente Schlaglichter

Die Ausstellung „Sexarbeit“, die derzeit im Museum der Arbeit zu sehen ist, widmet sich der Lebenswelt von Prostituierten

von Marco Carini

Es ist eine Gratwanderung. Zwischen Klischee und unverstelltem Blick. Zwischen erhobenem Zeigefinger und Doppelmoral. Zwischen Voyeurismus und Sichtbarmachung. Eine Ausstellung über Prostitution zu konzipieren ähnelt dem Gang über ein Minenfeld. Diesen Parcours zu meistern und dabei dem eigenen Anspruch einer enttabuisierten Aufklärung gerecht zu werden ist Elisabeth von Dücker, die die Ausstellung Sexarbeit im Museum der Arbeit konzipiert hat, überzeugend gelungen.

Über zwei Jahre lang hat die Kunsthistorikerin fast 400 Exponate aus der Lebenswelt der Prostituierten zusammengetragen, sortiert und geordnet. Die Ausbeute ist seit Freitag auf einer Sonderausstellungsfläche von 700 Quadratmetern zu sehen.

Der Begriff „Sexarbeit“ stammt dabei aus der amerikanischen Prostituiertenbewegung der siebziger Jahre. Er verweist auf die Lebens- und Arbeitswelt der Prostituierten sowie auf ihren Kampf um rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Anerkennung. Arbeitsmittel wie zerschlissene Mieder sind hier zu sehen, dazu Peitschen, Klistiere und „Ackerschuhe“: Highheels mit 20 Zentimeter hohen Absätzen oder wattierte Winterstiefel für den Straßenstrich gehören genauso zu den Exponaten wie die Zeugnisse der gesellschaftlichen Emanzipation der Prostituiertenbewegung.

Die Ausstellung, die in einem „roten Salon“ beginnt, führt von der Gegenwart in die Vergangenheit. Fotostrecken von Günter Zint, die die Geschichte des Rotlichtmilieus rund um die Reeperbahn über mehrere Jahrzehnte erzählen, gehören genauso zum Tableau wie seltene Dokumente eines historisch kaum aufgearbeiteten Themas: die Prostitution im Dritten Reich. Ein Fotoalbum des KZ Buchenwald, in dem die Zimmer des KZ-Bordells abgelichtet sind, gehört zu den beeindruckendsten Exponaten der Schau.

In verschiedenen Zimmern – Separees – sind die zentralen Themen der Sonderausstellung dokumentiert: die Darstellung der Prostitution in der Alltagskultur, die Arbeitsbedingungen der Prostituierten und die Geschichte der Sexindustrie in Hamburg. Besonders viel Raum nehmen dabei die Schattenseiten des Rotlichtgewerbes ein: Zwangsprostitution und Frauenhandel, Drogenstrich und Gesundheitsgefahren, Verfolgung und sexualisierte Gewalt zählen dazu. Die Doppelmoral einer Gesellschaft, in der rund eine Million hauptsächlich männlicher Kunden täglich sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nimmt (und damit für einen geschätzten Gesamtumsatz von 14 Milliarden Euro sorgt), die Sexarbeiterinnen aber stigmatisiert, kontrolliert, reglementiert und juristisch verfolgt, ist in der Sammlung allgegenwärtig, wird aber nicht überkommentiert. Die Exponate sprechen vielmehr für sich.

Die Ausstellung wirft zudem viele Fragen auf: Wie wird die Figur der Prostituierten konstruiert? Welche Bilder, welche Mythen entstehen, bleiben, vergehen? Ist Sexarbeit ein Beruf wie jeder andere auch? Wie begreifen Prostituierte ihre Arbeit? Nicht jede Frage wird umfassend beantwortet, und das hat zwei Gründe: Zum einen erlaubt die Vielzahl möglicher Perspektiven auf diese Fragestellungen keine eindimensionalen Antworten, zum anderen zwängte ein schmales Budget die Ausstellung in ein enges Korsett.

Flankiert wird die Sonderausstellung durch einen opulenten Katalog, in dem über 100 Textbeiträge weitere Schlaglichter auf die Kulturgeschichte der Prostitution werfen. Zum anderen finden wöchentlich ergänzende Veranstaltungen zu der Ausstellung statt.

Mo 13–21, Di–Sa 10–17, So 10–18 Uhr, Museum der Arbeit (Wiesendamm 3); bis 26.3.2006. Katalog 24,90 Euro. Begleitveranstaltungen: 7. 11.,19 Uhr: „Lady Anita“ führt unter dem Motto „Was sie schon immer über Sex wissen wollten ...“ in „die Theorie und Praxis der Sexarbeit“ mit dem Schwerpunkt SM ein. 15.11., 15 Uhr: Schauspieler Jens Wesemann rezitiert aus dem Buch „Wilde Leidenschaften“ der in Kamerun geborenen Autorin Calixte Beyala.21.11., 19 Uhr: Diskussion mit dem Verein „Sperrgebiet e.V.“ über Prostitution in St. Georg