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Spielen mit GeschlechternBessere Tage

Hamburger Soundtrack

von Nils Schuhmacher

Das Spiel mit sexuellen Gesten, aber auch mit der Geschlechterordnung und der -zuordnung findet in der Popkultur bekanntermaßen ein äußerst großes Terrain. Was in „the world outside“ undenkbar ist, zumindest jedenfalls mit scharfer Sanktion belegt zu werden droht, ist im globalen Mikrokosmos Pop eben doch möglich, vielleicht gar nötig, um auf interessante Weise zu bestehen.

Exhibitionismus, Hedonismus, Performanz, die lustvolle Vernutzung des Körpers, das Ineinanderfließen verschiedener Identitäten, überhaupt das ganze Fließen: man muss nicht Poptheoretiker sein, um schon einmal von den besonderen Häufungen alternativer Weiblichkeitskonzepte und androgyner Männlichkeiten im Pop gehört zu haben.

Wo Pop durch Rock überlagert wird, da sieht die Sache allerdings etwas anders aus. Und auch wo man sich emanzipatorisch gibt, fällt das Bild meist trübe aus. Sieht man einmal von Punk mit seiner dezidiert a(nti)sexuellen Haltung ab, so findet man doch in großer Zahl vor allem Rackets von Noch nicht-Männern, deren Perspektive, nun ja, mit Dekonstruktion eher wenig zu tun hat.

Laura Jane Grace mag insofern eine kleine Ausnahme darstellen. Als Kind hieß sie noch Tom Gabel und kürzlich gab sie in einem Interview zu Protokoll, dass in frühen Jahren ein Madonna-Konzert im Fernsehen gesehen und sich bereits dabei selbst erkannt habe. Besonders überraschend ist: davon war bis vor einigen Jahren eher wenig zu erkennen. Gabels Band, Against Me!, schmiegte sich stilistisch und habituell nämlich vor allem an die andere große Band der Gainesville-Schule, Hot Water Music, an.

Während jene allerdings bereits damals, Ende der 1990er, wie der Haufen fischender, vollbärtiger Naturburschen klangen, die sie heute wohl sind, klangen Erstere stets wie eine wildgewordene Horde am Lagerfeuer, die – geküsst von Punk – Country, Folk und Blues wüst ineinanderwarfen, wie es vorher vielleicht nur Operation Ivy mit Ska gewagt hatten.

Es folgte, wie so oft, der Turn in Richtung Stadionrock und 2013 Graces öffentliches Statement zur eigenen Transsexualitität. Auf dem letzten Album widmen sich in einige Lieder dieser Thematik und dies wird der an starken Posen der Männlichkeit nicht eben armen Post-Hardcore-Welt nicht unbedingt schaden. Aber leider muss man der Vollständigkeit halber auch sagen: musikalisch hat der mäßig überraschende Powerrock der Band auch schon mal bessere Tage gesehen.

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