Kampf mit Karbon

LEICHTATHLETIK Wie im Vorjahr springt Markus Rehm mit 8,11 Metern weiter als alle seine Konkurrenten, doch als deutscherMeister im Weitsprung wird ein anderer gefeiert. Warum? Weil Rehms Sätze in die Sandgrube gesondert gewertet wurden

So weit, so gut: Markus Rehm springt in Nürnberg 8,11 Meter Foto: dpa/ap

NÜRNBERG dpa/taz | Der Fall von Prothesen-Weitspringer Markus Rehm könnte zum Marathon werden – und den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) noch viel Zeit und Geld kosten. „Es geht nicht um die Frage: Hat Markus Rehm einen Vorteil?“, sagte DLV-Präsident Clemens Prokop bei den deutschen Meisterschaften in Nürnberg, „es geht um die grundsätzliche Frage: Wie sind Leistungen zu bewerten, die mit Hilfsmitteln erbracht wurden?“ Eine Chance, seinen Titel im Weitsprung zu verteidigen, hatte Rehm nicht. Denn auf dem Hauptmarkt in Nürnberg segelte am vergangenen Freitag nicht der neue deutsche Meister Fabian Heinle (8,03 Meter/Tübingen) am weitesten, sondern Rehm mit 8,11 Metern. Ein Jahr nach seinem Titel-Triumph wurde der 26-Jährige aber getrennt gewertet, weil Rehm mit einer Karbonschiene am rechten Bein springt (siehe taz vom 24. Juli).

Der promovierte Jurist Prokop befürwortet eine klare Entscheidung. „Je eher, desto besser.“ Doch die kontroverse Diskussion zieht sich nun schon über ein Jahr. Und ohne wissenschaftliches Gutachten kommt man in dem vertrackten Fall wohl nicht weiter. Prokop sprach von einem „aufwändigen Verfahren“, um eine solide Basis für eine generelle Lösung im Sinne von behinderten und nichtbehinderten Leichtathleten zu haben. Die Gesamtkosten für eine solche Expertise hatte Gerhard Janetzky, der Inklusionsbeauftragte des DLV, kürzlich auf „eine mittlere sechsstellige Summe, zwischen 200.000 und 400.000 Euro“ beziffert.

Der unterschenkelamputierte Paralympics-Sieger Rehm hatte in Nürnberg allen nichtbehinderten Rivalen wie vor einem Jahr in Ulm die Show gestohlen. Mit der Bestweite von 8,11 Metern flog keiner weiter. Sieger wollte der Leverkusener aber gar nicht sein, und deutscher Meister durfte sich der 26-Jährige ohnehin nicht nennen. Die Konkurrenten gratulierten artig, doch irgendwie fremdeln sie mit dem immer gut gelaunten Überflieger aus der Behinderten-Startklasse T44. Wer den Platz an der Sonne will, bald zur Weltmeisterschaft in Peking (22. bis 30. August) und 2016 nach Rio zu Olympia, der möchte nicht in Rehms Schatten stehen. „Ich fänd’s nett, wenn der Fokus wieder mehr auf uns liegen würde“, sagte der Leverkusener Alyn Camara. Rehms Vereinskollege war bei der Marktplatz-Premiere vor rund 6.000 begeisterten Zuschauern mit 7,97 Metern Zweiter hinter dem neuen Titelgewinner Fabian Heinle aus Tübingen (8,03).

Rehm, der Schützling von Trainerin Steffi Nerius, hatte 2014 als erster Behindertensportler den Weitsprung bei den Nichtbehinderten gewonnen: mit 8,24 Metern vor dem mittlerweile zurückgetretenen Christian Reif (8,20). Gleichzeitig erfüllte er damals die EM-Norm, wurde vom Verband aber nicht nominiert. Denn biomechanische Messungen hatten angeblich gezeigt, dass er durch seine Karbon-Prothese im Vorteil gegenüber nichtbehinderten Springern gewesen sei. Deshalb baute der DLV einen speziellen Paragrafen in sein Regelwerk ein: getrennte Wertungen für behinderte und nichtbehinderte Sportler in einem Wettkampf. Dass bis auf Reif alle Finalisten von Ulm trotzdem Protest gegen die Wertung eingelegt hatten, wollte Rehm gar nicht kommentieren. Er sagte nur: „Es wäre schön gewesen, wenn wir uns an einen Tisch gesetzt hätten.“ Am Grünen Tisch ist der Einspruch jetzt abgeschmettert worden, teilte Clemens Prokop mit. Der Meistertitel des Vorjahres soll ihm aber erhalten bleiben.

„Im Moment kann ich mit der Regelung leben“

Weitspringer Markus Rehm

„Doch es gibt unterschiedliche Auffassungen“, erklärte Prokop. Der Weltverband IAAF werde sich mit dem Problem auf seinem Kongress vor der Weltmeisterschaft in China befassen und „möglicherweise zu einer verbindlichen Regelung kommen“. Markus Rehm wünscht sich auf jeden Fall Wettkämpfe mit behinderten und nichtbehinderten Athleten auch auf internationaler Bühne – der DLV will am Rande der Weltmeisterschaft über einen entsprechenden Antrag abstimmen lassen. „Das wäre natürlich fantastisch und würde das Thema Inklusion weiter vorantreiben“, sagte Rehm und träumt von der ganz großen Bühne: „Warum macht man bei Olympia die Fackel aus und zwei Wochen später bei den Paralympics wieder an? Ich hoffe, wir rücken näher zusammen.“