Vermessung von Schuld und Unschuld

TOUR DE FRANCE Weil das Team Sky detaillierte Leistungsdaten nicht herausgibt, errechnen Außenstehende, wie „außergewöhnlich“ oder „verdächtig“ die Leistungen des Briten Chris Froome sind

Im Visier: Chris Froome Foto: dpa

PRA LOUP taz | Früher wurden an Ruhetagen der Tour de France Dopingsünder vom Rennen verjagt, wie etwa im Schicksalsjahr 2007 Michael Rasmussen und Alexander Winokurow. Der zweite Ruhetag der aktuellen Tour brachte dem Radsport eine Datendebatte. Lange Zeit wehrte Team Sky Berechnungen von Leistungsdaten als „Pseudowissenschaft“ ab. Nachdem der öffentliche Datendruck aber zunahm – für das französische Fernsehen errechnete ein vom Tour-Veranstalter ASO angestellter Statistiker und Sportwissenschaftler die enorme Leistung von 7,04 Watt pro Kilogramm Körpergewicht für Chris Froome beim finalen Anstieg der 10. Etappe – steuerte Sky nun selber Daten bei.

Das Team erkennt an, dass man Leistungsdaten sehr wohl als ein unterstützendes Tool zur Erkenntnisgewinnung über wundersame Leistungen einsetzen kann. Zahlreiche Antidopingexperten forderten in der Vergangenheit die Erweiterung des Monitoringsystems der Blut- und Hormondaten der Fahrer durch Leistungsdaten.

Das aktuelle Problem betrifft aber die Schlüssigkeit der Daten und die Berechnungsmethoden. Die Ziffern von Sky unterschieden sich eklatant von denen des französischen Sportwissenschaftlers und Statistikers Pierre Sallet. Sky gab für Froome eine Zeit für den Aufstieg von „etwa 41:30 Minuten“ an, Sallet, der für den Tourveranstalter ASO die Daten nimmt, nennt 40:43 Minuten. Das Gewicht des Fahrers gab Sky mit 67,5 kg an. Sallet ging von 71 kg aus.

Nach dieser Rechnung kam er auf 425 Watt Durchschnittsleistung am Anstieg, Froomes Trainer Tim Kerrison las vom SRM-Gerät seines Schützlings 414 Watt ab. Nachdem Sallet in seine Berechnungen die 67,5 kg Gewicht einfließen ließ, die Sky bekanntgab, senkte sich in seiner Kalkulation die durchschnittliche Leistung Froomes am Anstieg auf 408 Watt. Nach den Schwellen des ehemals für Festina tätigen Leistungsdiagnostikers Antoine Vayer wäre Froome unterhalb der Verdachtsgrenze; sie liegt für Vayer bei 410 Watt durchschnittlicher Leistung in einem langen Anstieg.

Sallet wiederum, der bereits seit zehn Jahren Leistungsberechnungen für die Assoziation „Athletes for Transparency“ betreibt und dabei saubere Sportler von gedopten zu unterscheiden gelernt hat, schlägt einen anderen Parameter vor: die maximale aerobe Leistung in Watt pro Kilogramm Körpergewicht. Hier stellte Sallet 7,04 W/kg für Froome fest. Für Sallet, wie er telefonisch der taz bestätigte, sei dies ein „abnormer Wert“.

Froomes Trainer gab einen Wert von 5,78 W/kg an. Dabei handelt es sich aber um die durchschnittliche aerobe Leistung am Anstieg und nicht um die Maximalleistung. Die maximale Leistung pro Kilogramm Körpergewicht ist aber der Schlüsselparameter, um das Außergewöhnliche zu erfassen. Nach der Korrektur des Körpergewichts auf 67,5 kg kam Sallet sogar auf einen noch größeren maximalen Wert bei Froome, nämlich 7,2 W/kg. Für ihn gibt es jetzt lediglich drei Erklärungsmöglichkeiten, teilte er der taz mit: „Froome hat eine außergewöhnliche Physiologie. Es handelt sich um Doping. Oder es wird ein Motor genutzt.“

Um die korrekte Antwort zu finden, bat Sallet das Team Sky nun um die Übergabe aller Daten des biologischen Blutpasses von Froome inklusive der Leistungsdaten im Wettkampf und Angaben über Medikamente, die Froome nimmt. Eigentlich wäre es Aufgabe des Weltradsportverbands UCI und der Weltantidopingagentur Wada, Licht in den Datendschungel zu bringen. Beide Institutionen ignorierten aber bislang die Möglichkeit, über Leistungsdaten Hinweise auf Doping zu erhalten. TOM MUSTROPH