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SOUNDTRACK

Viel gelobt worden ist Mark Eitzel (Foto) nicht nur als Kopf der Americana-Slowcore-Kombo American Music Club vor allem für seine lyrische Begabung und den düster-intelligenten Witz, mit dem er seit über 30 Jahren seine unermüdliche Auseinandersetzung mit den Katastrophen des Lebens und der damit einhergehenden Selbstzerstörung und -verachtung erträglicher macht. Dahinter musste bei Konzerten immer wieder auch die Musik selbst bisweilen in den Hintergrund treten. Der Melody Maker hat in dem Kalifornier schon einen der größten lebenden Lyriker erkannt, der Guardian gar den größten lebenden Dichter Amerikas und die F.A.Z. einen „begnadete[n] Lichtdichter, dem der Durchbruch verwehrt blieb“. Denn kommerziell hat sich die Kritiker-Begeisterung für das Quartett aus San Francisco und sein auch auf etlichen Soloalben Gift und Galle spuckendes Mastermind wie so oft nicht ausgezahlt. Immerhin: die Londoner Royal Festival Hall haben die düsteren Amerikaner einmal bis zum letzten Platz gefüllt. Vor ein paar Jahren dann wäre aber beinah selbst das letzte bisschen Licht aus Eitzels Leben gewichen – respektive das Leben aus Eitzels Körper: Einen schweren Herzinfarkt hat der schwermütige Barde erlitten, von dem er sich nun aber so weit erholt hat, dass er sein nunmehr elftes Album morgen Abend im Knust präsentieren kann. Dessen Finanzierung zumindest deutet darauf hin, dass das Glück selbst bei Menschen wie Eitzel – oder zumindest ganz in seiner Nähe – dann und wann vorbeischaut: Das kleine Orchester, dass all den Schmerz und all das Leid hier einkleidet, konnte schließlich bezahlt werden, weil ein Freund im Lotto gewonnen hat und Eitzel das Geld vorstrecken konnte. Bleibt inständig zu hoffen, dass er das bald mit gutem Herzen zurückzahlen kann. Denn auf „Don’t be a Stranger“ finden sich mit „I love you but you’re dead“ oder „I know the bill is due“ einige der stärksten Songs, die Eitzel bislang geschrieben hat. Fr, 25. 1., 20 Uhr, Knust, Neuer Kamp 30

„Pflasterstein-Pop“ nennt das seine Fühler immer wieder zielsicher nach Skandinavien richtende Wuppertaler Label Stargazer Records seine neuste Entdeckung aus Schweden. Vor allem, weil der hübsch verspielt-eklektische Output des immer wieder neue Gesichter um sich scharenden Projekts The Culture in Memoriam um Victor Håkansson aus Malmö sich inhaltlich mit Vorliebe an all den fiesen Widrigkeiten des Kapitalismus von unbezahlten Rechnungen bis zur nuklearen Katastrophe – und der entsprechenden Hoffnung auf Befreiung – abarbeitet. Unmissverständliches Motto: „Nevermind the bourgeoisie, here’s The Culture In Memoriam!“ Mal wütend, mal fragil und verletzlich, mal düster theatralisch, mal kitschig romantisch, mal reduziert, dann wieder pompös klingt das gerade mal eine halbe Stunde füllende dritte Album „Rest in Pieces“, das die Schweden heute Abend in der Astra-Stube präsentieren. Do, 24. 1., 21 Uhr, Astra Stube, Max-Brauer-Allee 200

Warum Daniel Kahn und seine Kapelle The Painted Bird ihre mitunter bitter sarkastische Klezmer-Polit-Kabarett-Punk-Folk-Melange „Verfremdungsklezmer“ nennen, wird schnell klar: Was der Detroiter Wahl-Berliner mit aus einer Zigarrenkiste selbst gebastelter Ukelele und Knitter-Anzug auf die Bühne bringt, ist alles andere als Russen-Disko-affine Tanzmusik für orientalistische Romantiker. Stattdessen gibt es jiddische Lieder aus dem Umfeld des „Algemeynen Yidishen Arbeter Bund in Lite, Polyn un Rusland“, Mordechai Gebirtigs „Arbeitslosenmarsch“, ein wenig Tucholsky, Brecht-Balladen und Kampfbereites aus der eigenen Feder. Zum Beispiel die Moritat „Six Million Germans“ über die wahre Geschichte des jüdischen Partisanen Abba Kovner. Der hatte nach dem Krieg gemeinsam mit seinen Genossen tatsächlich vor, sechs Millionen Deutsche zu vergiften – wurde aber vorher von den Briten festgenommen. Vor zwei Jahren gab es für das Album „Lost Causes“ einen der begehrten Preise der deutschen Schallplattenkritik, morgen Abend präsentiert Kahn seinen neuen Wurf „Bad Old Songs“ in der Fabrik. Und verspricht eine kleine Überraschung: Angeblich ausfindig gemacht hat Kahn die „Lost Nazaroff Brothers“, die im Anschluss „misstönende, obskure, jubilierende, ekstatische“ Stücke im Gefolge der 1954 erschienenen „Jewish Freilach Songs“ des „Happy Prince“ Nathan Nazaroff spielen. Fr, 25. 1., 21 Uhr, Fabrik, Barnerstraße 36ROBERT MATTHIES

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