LeserInnenbriefe
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Geistiger Nazidreck

betr.: „Rechte Gewalt: NRW überholt Sachsen“, taz vom 23. 7. 15

Die neonazistischen Übergriffe – hier zu Brandenburg – dürften sicher die Spitze des Eisbergs sein. Gestern fand und entfernte ich (obwohl ich dies laut Polizei und Berliner Justiz nicht tun darf) bei meiner Aktion gegen den sichtbaren geistigen Nazi­dreck fast schon Entlarvendes zum Beispiel in Trebbin: rund um den Bahnhof 42 Aufkleber der JN! (NPD-Nachwuchs).

In Luckenwalde als Minigraffito „I love (als Herz) NS“, und dort am Bahnhof prangt seit Jahren ein über ein Meter großes „FNS“-Graffito! („Frei National Sozial“), das Gleiche habe ich nach einem Jahr geduldigen Wartens am Bahnhof Jüterbog entfremdet! Die vielen Aufkleber betreffend sah es ähnlich letzte und diese Woche in Schwedt aus …

IRMELA MENSAH-SCHRAMM, Berlin

Kochts Ihnen gourd?

betr.: „Barschels Bächlein“, taz-Wahrheit vom17. 7. 15

Der Gustl-Lang-Felsen hat mich neugierig gemacht. Sie scheinen aus der Gegend zu sein, da Sie den Politiker Gustl Lang und sein Umfeld so treffend beschreiben.

Eine konkrete Erfahrung von mir mit August R. Lang:

Ich bin katholischer Pfarrer, jetzt im Ruhestand (73), und war 34 Jahre Pfarrer in Kohlberg bei Weiden in der Oberpflalz, dem Wahlkreis von August Lang.

Als es 1985 mit der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in Wackers­dorf konkret wurde, haben mich Bekannte aus dem Arbeitskreis „Theologie und Kernenergie“ in Regensburg gebeten, mich doch auch im Widerstand zu engagieren. Ich weigerte mich zunächst, da ich ja kaum eine Ahnung von Chemie und Physik hatte.

Eines Tages bot Gustl Lang Sprechstunden im Zottbachhaus an. Ich dachte mir, bevor du dich öffentlich zur WAA äußerst, gehst du zu Lang und informierst dich. Er ist ja christkatholisch und gescheit, da er – wie wir später sagten – „Allzweckwaffe“ von FJS ist. Mich hat dieser Mann bis dahin beeindruckt; ich war ja „schwarz“ wie die Nacht groß geworden wie viele Oberpfälzer. 1969, als die SPD an die Macht kam, war ich in die CSU eingetreten, um zu verhindern, dass wir von den Roten an Moskau ausgeliefert werden.

Eine halbe Stunde war ich bei August Lang in der Sprechstunde, wollte ihn näher kennenlernen und auch seine Argumente für die WAA erfahren. Ich brauchte nicht viel zu sagen, lehnte mich zurück und hörte ihm zu. Zwischendurch klopfte er mir auf die Schulter und sagte: „Hams a gourde Haushälterin, Herr Pfarrer, kochts Ihnen gourd.“

Nach der halben Stunde wusste ich, dass ich mich auf einen solchen Mann nicht verlassen kann und dass ich mich in Sachen WAA engagieren muss.

Lang sagte einmal: „Wenn die WAA nicht in der Oberpfalz gebaut werden kann, dann kann sie nirgends gebaut werden!“ Er hat recht behalten.

Nun hoffe ich, dass Sie, Herr Wirner, das Foto nicht montiert haben, und werde mich gelegentlich auf die Suche nach dem Felsen machen. ANDREAS SCHLAGENHAUFER, Regenstauf

Bürgerliches Versagen

betr.:„Gedenken: 20. Juli, Fortsetzung“, taz vom 24. 7. 15

Diesen Artikel habe ich mit Freude und Zustimmung gelesen. Einer Aussage muss ich aber ganz entschieden widersprechen.

Gemma Pörzgen schreibt: „… während die DDR allein den kommunistischen Widerstand gelten ließ“. Das ist ein Vorurteil aus der Zeit des Kalten Kriegs.

In meiner kleinen Bibliothek finde ich diese Publikationen aus Verlagen der DDR, die das Gegenteil beweisen:

Sechs Veröffentlichungen zum Widerstand von Christen, drei Veröffentlichungen zum Widerstand in Konzentrationslagern, eine zur Gruppe um Herbert Baum unter Darstellung und Würdigung auch der nicht kommunistischen Kämpfer und Opfer, eine Stauffenberg- und eine Moltke-Biografie.

Die mit Abstand beeindruckendste und nützlichste Publikation aus der DDR ist aber das vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED herausgegebene zweibändige Werk „Deutsche Widerstandskämpfer 1933–1945. Biographien und Briefe“, Berlin-DDR 1970. Hier finden sich, jeweils sorgfältig recherchiert und respektvoll gewürdigt, die Biografien unzähliger Opfer, die nicht aus dem kommunistischen Milieu kamen.

Aus insgesamt Hunderten von Biografien seien hier genannt: Margarete Blank, Rudolf Breitscheid, Paul von Essen, Georg ­Groscurth, Horst Heilmann, Caesar von Hofacker, Kurt Huber, Julius Leber, Theodor Lessing, Wilhelm Leuschner, Bernhard Lichtenberg, Hans Litten, Ludwig Marum, Max Josef Metzger, Helmuth James von Moltke, Erich Mühsam, Carl von Ossietzky, Adolf Reichwein, Hans Rummer, Paul Schneider, Gertrud Seele, Hans und Sophia Scholl, Oda Schottmüller, Claus Schenk von Stauffenberg, Adam von Trott zu Solz, Peter York von Wartenberg.

Selbstverständlich waren die allermeisten der in diesen Bänden für uns aufbewahrten Widerstandskämpfer Kommunisten oder Sozialdemokraten. Aber das entspricht der Realität des Widerstands.

Es ist nicht die Schuld der DDR, dass das deutsche Bürgertum bis auf sehr ehrenwerte Einzelne vor dem Nationalsozialismus versagt hat. BERND SCHÜNGEL, Berlin