Vergnügt und genusssüchtig

KLEINE VERLAGE Rumgucken, Spazierengehen, sich unterhalten, Empanada-Essen, Biertrinken, Lesungen zuhören, Jubiläen feiern - eine Messe im Garten des Literarischen Colloquiums am Wannsee

Großer Austausch an langen Tischen Foto: Solveig Bostelmann, LCB

von Detlef Kuhlbrodt

Dass sich der Sommer dem Ende zuneigt, merkt man daran, dass man in der S-Bahn sitzt, die Richtung Wannsee fährt. Das Literarische Colloquium hat zur „Gartenmesse Kleine Verlage am Großen Wannsee“ geladen. Ich sitze in der Bahn und lese ein Buch von 2007, es ist schwül, ein wenig bedauere ich, dass ich mich nicht verdoppeln kann, sonst würde ich einen Teil meiner selbst zur Beobachtung des Love-Parade-Revivals schicken, das zeitgleich woanders durch die Gegend zieht. Am S-Bahnhof Wannsee fällt mir auf, dass auf den Hinweisschildern vom „Literarischen Kolloquium“ die Rede ist.

Ein paar Déjà-vus kommen vorbei, weil ich jedes Jahr im Sommer zum LCB fahre. Die Gartenmesse findet zum elften Mal statt. 24 Kleinverlage aus dem deutschsprachigen Raum sind zu Gast und drängen sich aneinander. Einige feiern Jubiläen. Zum Beispiel „40 Jahre Nautillus“ oder „35 Jahre Verlag das Wunderhorn“. Andere sind noch ganz jung, wie der Verlag „Guggolz“, der erst ein Jahr auf der Welt ist. Die Verbrecher, Matthes & Seitz und everybodies Lieblingsverlag „Kookbooks“ sind auch dabei.

Die Gartenmesse besteht aus Rumgucken, Spazierengehen, sich unterhalten, aus Empanada-Essen, Biertrinken und dem Leseprogramm zuhören. Fast fünf Stunden lang lesen 17 Autoren und Autorinnen.

Als ich ankomme, endet gerade eine Lesung mit dem Satz: „Unglückliche Menschen, die das Leben mit einem gewissen Argwohn betrachten, betrügt man nicht.“ Es ist, glaube ich, Max Czollek, der grad für das Verlagshaus Berlin gelesen hat.

Ich gehe durch die Gegend, schaue mir die meist schön gestalteten Bücher der 24 ausstellenden Verlage an, freue mich, bekannte Gesichter zu sehen. Neben mir raucht jemand eine elektronische Zigarette. Es riecht gut. Eine Frau trägt eine schwarze Stofftasche, auf der steht: „First of all I would like thank to thank the Academy“.

„Je ne sais quoi“, sagt der Dichter. Es ist Richard Duraj und er ist für „Kookbooks“ am Start. Dann liest Axel Ernst aus „Die Stimme“ von Walter Bauer. Der 1904 in Merseburg geborene Autor war 1952, aus Enttäuschung über die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland, nach Kanada ausgewandert. Seine autobiografische Novelle „Die Stimme“ ist eine Migrationserzählung. Die gelesenen Passagen klingen super. Wie die meisten Autoren des Lilienfeld-Verlags ist auch Bauer schon tot. „Das hat auch Vorteile“ sagt der Verleger.

Schweineliteratur

Sophia Martineck wirft ihre Graphic-Novel-Dorf-Sittenbilder an die Leinwand. Ihr Comic heißt „Hühner, Porno, Schlägerei“ und ist im avant-Verlag erschienen. Thomas Macho liest aus seinem Buch „Schweine“, das bei Matthes & Seitz erschienen ist. „Schwein reimt sich auf Schein“, doch das führt zu nichts. In jedem Fall sind sie „vergnügt, genusssüchtig und gute Läufer“. Eveline Passet liest für „Guggolz“ aus dem neu übersetzten Roman „Der irdische Kelch“, der in einem von einer Kinderkolonie bevölkerten Gutshaus im Revolutionsjahr 1919 spielt und unzensiert erst in den Perestroikajahren vollständig erscheinen konnte.

Als ich ankomme, endet gerade eine Lesung mit dem Satz: „Unglückliche ­Menschen, die das Leben mit einem gewissen Argwohn betrachten, betrügt man nicht“

Als Altstar, wie Paul Mc Cartney oder Charles Mingus sozusagen, ist FC Delius dann am Start und trägt aus seiner bei „transit“ erschienen Textsammlung „Tanz durch die Stadt“ vor. Seine 1996 geäußerten Berlin-Wünsche freuen die Zuschauer. „Selbst die Bücher klatschen Beifall hier“, sagt der Dichter und endet mit einem Text, der davon handelt, wie ihn ein Radfahrer beinahe zu Tode fährt.

Der Formulierung der eigenen Todesanzeige unter Vermischtes „Büchnerpreisträger erlag den Folgen eines Fahrrad­unfalls“ ist der Schrecken über die plötzlich Erfahrung der eigenen Sterblichkeit noch eingeschrieben. (Denn im Allgemeinen sterben ja immer nur die andern.)

Die schöne Gartenmesse endet mit Kolja Mensing, der eine Passage aus „Die Legenden der Väter“ (Verbrecherverlag) zum Besten gibt.

Und dann kommt der Sturm.