Kurz wegducken, Stühlchen richten, weitermachen: Alles kaputt
Nullen und Einsen
von Meike Laaff
Es ist nicht der Sommer. Mein deutscher Twitterstream sieht immer so aus. Ständig ist was „kaputt“, meist eine mit Monaten Abstand ins Deutsche übersetzte Analyse der Brokenness der US-Debatten. Vor allem kaputt: das Internet. Die Netzneutralität. Die Debattenkultur im Netz. Blogs. E-Mail. Twitter. Die Politik. Der Kapitalismus. Die Demokratie. Und ja, noch größer geht es auch.
Jetzt hab ich natürlich nichts gegen Rumgekrittel. Und gegen Twitter habe ich erst recht nichts. Nur zeigt sich hier leider doch: Auf 140 Zeilen ist nicht viel Analyse zu machen. Und dann bleibt es dabei, dass irgendwas als „kaputt“ zu bezeichnen nicht mehr ist als die schnelle Frustabfuhr zwischendurch. Kaputt? Was daraus erwächst? Muss man halt in anderer Form erörtern. Oder auch nicht.
So kommt man nicht weiter. Motzt man auf dem Niveau, dann ist es doch gar nicht so falsch, jede Welle von vielleicht auch berechtigtem Ärger als Shitstorm kleinzureden. Weil die Verantwortlichen, über die „das Netz“ so lange als digitale Nullchecker gelacht hat, genau wissen, dass da nicht viel mehr kommen wird, als dass sich einmal alle kurz ärgern. Kurz wegducken, Stühlchen richten, weitermachen.
Einer der interessantesten Texte dazu kam vergangenen Woche aus dem Iran. Hossein Derakhshan, im Netz besser bekannt als Hoder, schreibt dort. Über den Tod des Hyperlinks. Ein Thema, das beim schnellen Lesen klingt wie noch so ein professoraler Opa-erzählt-vom-Internet-Text eines schnarchigen Anfang-Netzers. Derakhshan war einmal ein einflussreicher Blogger im Iran. Sechs Jahre lang schrieb er nichts. Weil er im Gefängnis saß. Für Dinge, die er auf seinem Blog gepostet hatte, und erst vor wenigen Monaten begnadigt wurde. Rauskam und sah, wie sich das Netz verändert hat.
Derakhshan sah dies: Social Media Streams statt der einst besonders einflussreichen Blogs. Dienste wie Facebook, die direkt auf seinen Seiten gepostete Inhalte Hyperlinks vorziehen. Was Derakhshan als dramatisch empfindet – erlaubten doch Hyperlinks einen neuen Blick auf die Welt. Hätten Blogs dem Geist von Dezentralisierung eine Form gegeben, seien Fenster in unbekannte Leben gewesen, verbindende Brücken, Cafés für den Austausch von Menschen.
Hyperlinks, schreibt er, seien die Augen des Webs, „der Weg zu dessen Seele“. „Apps wie Instagram sind blind. Ihr Blick richtet sich ausschließlich nach innen, sie verweigert es, ihren massiven Einfluss auf andere zu transferieren – und führen sie so in den stillen Tod. Die Konsequenz ist, dass Webseiten außerhalb sozialer Medien sterben.“ Und damit verbunden der Betrug an der Vielfalt, die das World Wide Web einst versprach. Die Entmachtung der Bürger gegenüber Regierungen und Unternehmen.
Sätze, die qua Biografie schon mehr Bums haben als jeder Selber-hosten-Appell eines Sascha Lobo. „Der Käfig um uns rum ist jetzt schon in uns drin“, steht auf einem Plakat, das vor meiner Haustür klebt. Tl;dr: Auf die NSA zeigen geht immer. Schwerer ist, seinen eigenen Beitrag zur Kaputtness des Netzes zu benennen und gegenzusteuern. Um das mal ganz verkürzt in 140 Zeichen zu sagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen