Warum ein Dom mitten im Braunkohlegebiet mit dem Segen des Heiligen Vaters sofort besetzt werden muss: Gehet hin in Frieden – nach Immerath!
Wir retten die Welt
Manfred Kriener
Die Frage, ob Jesus beim Carsharing mitmachen oder ein gebrauchtes Smart-Coupé fahren würde oder doch lieber nur mit dem Radl, wird immer wieder gern gestellt, ist aber letztlich schwer zu beantworten. Was würde ER hienieden auf Erden tatsächlich tun?
Als Erstes würde er natürlich den Dom von Immerath besetzen. Bevor der in die Luft gejagt wird. Zusammen mit Papst Franziskus, dem neuen Öko-Superman. Leider weiß der Heilige Vater noch nicht, wo der Dom von Immerath liegt. Bei Erkelenz, mitten im großen Braunkohlegebiet. Garzweiler! Dort, wo heute noch für die dümmste Art, Kaffee zu kochen – mittels Strom aus Braunkohleverbrennung –, Dorf um Dorf ausradiert, Kulturdenkmal um Kulturdenkmal geschliffen, Bewohner um Bewohner enteignet und zwangsumgesiedelt wird. Im 21. Jahrhundert. Aufgrund uralter Energie-Notstandsparagrafen und trotz riesiger Überkapazitäten. Immerath ist das bisher letzte Opfer des Braunkohlebaggers. Das Dorf ist umgesiedelt.
Aber der Dom von Immerath steht noch. In Deutschland wurde die letzte Hexe wegen Teufelsbuhlschaft am 4. April 1775 verurteilt, der letzte Dom vor 200 Jahren abgerissen. Jetzt ist es wieder so weit. Wenn Greenpeace es nicht verhindert.
Weltweit boomen Sonne, Wind und Co. Die Photovoltaik hat sich im globalen Maßstab binnen zehn Jahren verfünfzigfacht. Kenia wird zum Vorzeigeland für Geothermie. Burundi ist das Land mit den – gemessen am Bruttosozialprodukt – höchsten Investitionen weltweit in erneuerbare Energien.
Und Deutschland macht weiter Dörfer und ganze Kulturlandschaften platt, um jenen Brennstoff aus der Erde zu holen, den schon im Mittelalter niemand verheizen wollte, weil er zu feucht war und stank und qualmte, dass die Vögel tot vom Himmel fielen. Er stinkt immer noch. Er ist der größte Klimakiller hienieden. Zwei deutsche Braunkohlemeiler speien mehr CO2 aus ihrem Schlund als ganz Slowenien. Von den fünf schlimmsten Kraftwerken Europas kommen vier aus Deutschland. Wir sind schlimmer als die Griechen. Wir sind Braunkohlemonster.
Aber die Braunkohlemafia hat eine Achillesferse: den Dom von Immerath. Er muss besetzt werden. Erst recht nach allem, was der Papst geschrieben hat übers Klima, die Schöpfung, die rücksichtslose Wirtschaft, über die Atmosphäre, die allen gehört und nicht nur den Braunkohlegangstern, und dass wir womöglich als verantwortungsloseste Generation in die Geschichts- und Gesangbücher eingehen. Der Papst bettelt geradezu um eine Besetzung des Doms von Immerath. Der ist wunderschön, liebevoll restauriert, ein reich verzierter Altarraum zu Ehren des Herrn, neuromanische Baukunst, eine hinreißende Maria. „Wenn er eine Moschee wäre, hätte Claudia Roth sich eingenässt, und es gäbe weltweiten Protest“, schreibt ein Eduard Schmidt-Zorner zornig im Internet. Das ist jetzt natürlich grob unsachlich, aber nicht mal so falsch. Nichts gegen Frau Roth, aber alles für den Dom von Immerath.
Jedenfalls muss dieser Dom besetzt werden, von mir aus auch per Flashmob oder Campact-Mobilisierung. Hey, Greenpeace, braucht ihr noch Argumente? Gerade hat die Braunkohle wieder gesiegt. Die geplante Klimaabgabe gegen die großen Braunkohlestinker kommt nicht. Stattdessen spendieren wir neue Subventionen. Und dann ist da noch die Nötigungsaktion der Braunkohlegangster gegen den Kölner Stadtanzeiger. 61 Abokündigungsdrohungen haben sie gesammelt, und der Braunkohleschurke Norbert Pohlmann vom RWE hat einen Erpresserbrief an die Chefredaktion gerichtet, weil zu negativ über die Braunkohleverbrechen berichtet werde. Reicht das jetzt, Greenpeace? Wir sehen uns. Im Dom von Immerath. Braunkohlebagger zu Pflugscharen, Mondlandschaften zu Gärten des Herrn. Gehet hin in Frieden – nach Immerath.
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