Was für eine Athletin

GRANDIOS Serena Williams gewinnt zum sechsten Mal in Wimbledon und damit ihren vierten großen Titel in Folge – bei den US Open in New York kann sie Mitte September als erste Spielerin nach Steffi Graf den Grand Slam holen

Den „unechten“ Grand Slam – vier Titel in Folge – hat sie schon, der echte soll folgen. Serena Williams, strahlend, 11. Juli 2015 Foto: Suzanne Plunkett (reuters)

aus London Doris Henkel

Die britische Schriftstellerin Joanne K. Rowling hat bekanntlich Figuren erschaffen, die die ganze Welt kennt und bewundert, von Harry Potter hat jeder schon gehört. Aber wer sagt, das echte Leben könne da nicht mithalten? Nach dem Sieg von Serena Williams im Finale von Wimbledon am Samstag ließ Miss Rowling wissen: „Ich liebe Serena Williams. Was für eine Athletin, was für ein Vorbild, was für eine Frau.“ Das hätte die bewunderte Frau alles unterschrieben, denn an Selbstbewusstsein fehlte es ihr nie. Aber man kann es einfach auch nicht anders sehen.

So viele Titel wie alleanderen zusammen

Mit dem Sieg gegen Garbiñe Muguruza (6:4, 6:4) schnappte sich Williams den 21. Grand-Slam-Titel ihrer Karriere. Das sind so viele, wie die aktuell noch tätigen Konkurrentinnen zusammen besitzen; Venus Williams hat sieben, Scharapowa fünf, Asarenka, Kvitova und Kusnezowa haben zwei, Ivanovic, Schiavone und Stosur je einen: ergibt 21. Aber das ist nicht das Thema der Stunde. Bis zum Finale hatte sich Williams jegliche Frage zum Grand Slam verbeten, aber diesen Fragen wird sie in den nächsten Wochen nicht mehr entgehen können. Denn gewinnt sie Mitte September auch den Titel bei den US Open, dann ist er perfekt, der Grand Slam, das Quartett der großen vier Turniere in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York innerhalb eines Kalenderjahres.

Serena Williams hat bereits 21 Grand-Slam-Turniere im Einzel gewonnen (6 Australian-Open-, 3 French-Open-, 6 Wimbledon- und 6 US-Open-Titel). Mit einem 22. Titel wäre sie gemeinsam mit Steffi Graf die zweiterfolgreichste Spielerin bei Grand Slams. On top: Margaret Smith Court aus Australien mit 24 Titeln zwischen 1960 und 1973.

Laut Weltverband WTA ist Williams mit 33 Jahren und 289 Tagen die älteste Spielerin, die einen Einzeltitel gewonnen hat (zuvor: Martina Navratilova an gleicher Stelle 1990 mit 33 Jahren, 263 Tagen).

Williams hat nun 28 Grand-Slam-Matches in Serie gewonnen. Ihr Rekord: 33 Siege in Serie. Insgesamt hat sie nun 280 Siege bei Grand Slams gefeiert. (Graf: 278, Chris Evert: 299, Navratilova: 306). (dpa, taz)

Es gibt in der Geschichte des Frauentennis nur drei, die das jemals schafften: die Amerikanerin Maureen Connolly (1953), Margaret Court Smith aus Australien (1970) und Steffi Graf (1988). Jeder, der Williams kennt, weiß: Das ist ihr Ziel. Landsmann Andy Roddick, der in Wimbledon für BBC kommentierte, sagte kurz nach dem Finale: „Ich kenne Serena mein Leben lang. Spätestens in fünf Minuten fängt sie an, über den Grand Slam nachzudenken.“ Im Prinzip lag er richtig, nur die Zeit stimmte nicht; Williams ließ ihn wissen, mit der Vermutung sei er 20 Minuten zu spät dran gewesen.

Theoretisch spricht fast nichts dagegen, dass die US-Amerikanerin den großen Coup im September landen kann; selbst wenn sie nicht supertoll in Form ist, hat sie die Konkurrenz am Ende doch immer wieder im Griff. Muguruza gab auf sehenswerte Weise alles im Finale, und hinterher waren sich inklusive der Gegnerin alle einig, dass man noch viel von ihr hören wird. Aber es reichte nicht.

Die Tatsache, dass Williams während des Turniers nicht über das Thema Grand Slam reden wollte, zeigt, dass sie ahnt, was nun auf sie zukommen wird. Es genügt ja nicht, die Erkundigungen zu verbieten; die eigenen Gedanken sind weniger leicht zu kontrollieren. In einem Interview mit der französischen Sportzeitung L’Équipe erklärte Steffi Graf kürzlich, nach ihrem Sieg in Wimbledon 1988 sei ihr der Begriff Grand Slam ständig und überall begegnet. „Die Medien hörten nicht auf, das zu erwähnen, es war fürchterlich.“ Nachdem das Werk schließlich in New York mit einem Sieg gegen Gabriela Sabatini vollbracht war, sei sie einfach nur erleichtert gewesen.

„Ich hatte immer den Antrieb, die Beste zu sein“

Serena Williams

Aber selbst wenn Williams auf dem Weg zu dieser historischen Tat straucheln sollte, den sogenannten Serena Slam hat sie zum zweiten Mal in der Tasche. Der Begriff entstand nach ihrem Sieg bei den Australian Open 2003, der zwar damals der vierte in Folge bei einem Grand-Slam-Turnier war, aber eben nicht innerhalb eines Kalenderjahres errungen wurde.

Der zweite Serena Slam ist fraglos noch mehr wert als der erste. Dazwischen liegen mehr als zehn Jahre, Hunderte von Spielen, eine lebensbedrohliche Krankheit, Verletzungen, eine familiäre Katastrophe (der Mord an ihrer Schwester Yetunde). Aber sie ist stärker denn je. Und sie scheint unersättlich in ihrem Verlangen zu sein, der Welt zu zeigen, wer sie ist. „Ich hatte immer den Antrieb, die Beste zu sein“, sagt sie, „aber vielleicht tu ich heute mehr dafür. Ich erfinde mich immer wieder neu.“