Interesse, Faszination und Leidenschaft
: Lieber Vogelspinne als Ulfkotte

Foto: privat

Tier und Wir

von HeikoWerning

Ein Journalist ruft bei mir an. Ich bin misstrauisch. Ich bin ja selbst Journalist. Meine Skepsis gegen diesen Berufsstand basiert also nicht wie all bei den Nulpen da draußen auf tumben Vorurteilen, sondern auf gesunder Selbsterkenntnis.

Der Journalist schreibt über die Halter von exotischen Tieren und möchte von mir wissen, wieso ich mich für Reptilien begeistere und die sogar zu Hause halte. Eine merkwürdige Frage. Der Journalist setzt nach: Man könne doch gar nichts mit denen machen, also nicht spielen oder kuscheln, und viel bewegen würden die sich ja auch nicht. Das ist zwar fraglos richtig, trotzdem verwundert mich diese Art der Fragestellung immer wieder (und ich bin ihr schon oft begegnet).

Wenn jemand sich ein Bild an die Wand hängt, will er damit im Regelfall ja auch nicht kuscheln. Und verglichen mit einer Picasso-Lithographie ist selbst ein Terrarium mit einem Schmuckhornfrosch – eine Amphibienart, die dafür berüchtigt ist, sich wochenlang keinen Millimeter vom Fleck zu rühren, sondern geduldig im Schlamm herumzuhocken und darauf zu warten, dass irgendwann mal eine Maus unvorsichtig genug ist, in Schnappentfernung zu laufen – ein echter Action-Streifen.

Ich versuche es, dem Mann begreiflich zu machen: Dass Interesse, Faszination und Leidenschaft nun einmal keine Dinge sind, die nach Sinn und Nutzen fragen, jedenfalls nicht primär. Welchen Sinn ergibt es denn, samstagnachmittags in ein Fußballstadion zu gehen und zu­zugucken, wie andere Leute Leibesertüchtigungen betreiben? Und mit denen will man ja nun wirklich auch nicht ­kuscheln! Trotzdem muss sich kein Mensch dafür rechtfertigen.

Ich spüre, dass der Journalist nicht überzeugt ist. Er legt nach: Es gebe ja sogar Leute, die Vogelspinnen halten, die ja nicht nur gefährlich seien, sondern auch noch schaurig. Das machen die doch nur, um damit anzugeben! Ich hole tief Luft.

Erstens: Wer als Journalist behauptet, Vogelspinnen seien gefährlich, kriegt zur Strafe eine Udo-Ulfkotte-Frisur verpasst. Zweitens: Die Leute halten Vogelspinnen für schaurig, finden es aber völlig normal, sich im Fernsehen „Germany’s Next Topmodel“ anzugucken? Ihr habt sie doch nicht mehr alle. Und drittens: Die meisten Vogelspinnenhalter, die ich kenne, legen großen Wert darauf, dass niemand von ihrer Passion erfährt, weil sie sich davor fürchten, eines Tages von Journalisten angerufen zu werden. Oder schlimmer noch: von Nachbarn. Oder dem Vermieter.

Von den Psychopathen also, die da draußen frei rumlaufen und die, weil sie leider keine so schöne Beschäftigung haben wie die Vogelspinnenhalter, dauernd andere Leute belästigen müssen mit Vorhaltungen darüber, was sie zu tun und zu lassen haben und was normal ist und was nicht. Denn wer handtellergroße Wirbellose hält, der will ja doch nur seine Minderwertigkeitskomplexe kompensieren, denkt sich der Normalbürger kopfschüttelnd und setzt sich in seinen SUV oder die Mercedes-Limousine, um den beschwerlichen Weg in die Vorstadt bewältigen zu können. „

Was für Profilneurotiker es gibt!“, murmelt er dabei vor sich hin.

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